Abschlussbericht

Nachhaltige Betriebsratsarbeit

Projekt „Mit System zum Erfolg“

im Betriebsrat VW Emden

 

Finanziert von der
Hans-Böckler-Stiftung

 

 

 

Ralf Behrens, Betriebsrat VW Emden

Dr. Klaus-Stephan Otto, Dr. Otto Training & Consulting

Frederik Fleischmann, Dr. Otto Training & Consulting

 

 

 

März 2010


 

Abstract

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Ziel des Projektes „Mit System zum Erfolg“ war es, die Arbeit des Betriebsrates im VW-Werk Emden zu strukturieren und systematisieren, um es dem Betriebsrat zu ermöglichen, den Herausforderungen moderner Betriebsratstätigkeiten besser begegnen zu können. Die Ergebnisse des Projektes sollten so aufbereitet werden, dass sie auch von Betriebsräten an anderen Standorten und in anderen Branchen genutzt werden können.

Die Ergebnisse des zweieinhalbjährigen Projektes sind in den folgenden vier Themen- und Arbeitsfeldern dargestellt:

1. Strategiearbeit des Betriebsrates

2. Erfolgreich verändern – neue Strukturen

3. Führung, Personalentwicklung, Qualifizierung

4. Kommunikation

Die besondere Leistung des Projektes bestand in der gemeinsamen Bearbeitung von sogenannten harten und weichen Faktoren.

 

Der Projektprozess, die Vorgehensweise und die Ergebnisse werden in diesem Bericht dargestellt. Die angewandten Methoden und Instrumente sind in einem separat erscheinenden Handbuch praxisnah aufbereitet.*

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*In der digitalen Version des Abschlussberichtes und des Handbuches sind
Verknüpfungen eingefügt, die die praxisnahen Instrumente im Handbuch
mit den inhaltlichen Zusammenhängen im Abschlussbericht verbinden


Inhalt

 

Vorwort 4

Kurzzusammenfassung. 5

1.     Einleitung. 7

1.1 Mitbestimmungslandschaft in Deutschland. 8

1.2 Betriebsratsarbeit in VW-Werk Emden vor dem Projekt 9

1.3 Die Arbeit im Betriebsrat 10

1.4 Problemstellung. 14

2.     Projektziele. 15

2.1 Anknüpfung an Projektantrag, neuere Entwicklungen. 15

2.2 Ursprüngliche Projektziele. 15

2.3 Neu hinzugekommene Ziele. 16

3.     Erklärungsmodell und Leitlinien für die Betriebsratsarbeit 18

3.1 Entwickeltes Erklärungsmodell für die Betriebsratsarbeit 18

3.2 Was bedeutet nachhaltige Betriebsratsarbeit?. 20

4.     Zur Projektarbeit 24

4.1 Evolutionäres Projektmanagement 24

4.2 Projektplanung. 25

4.3 Wer sind die Projektbeteiligten?. 27

4.4 Projektstruktur 28

5.     Projektphasen mit Schwerpunktthemen und Meilensteinen. 32

6      Bearbeitung der Projektinhalte. 36

6.1 Strategiearbeit des Betriebsrates. 36

6.2 Erfolgreich verändern – neue Strukturen. 44

6.3 Führung, Personalentwicklung, Qualifizierung. 51

6.3.1 Systematische Bearbeitung des Themas Gender 58

6.4 Kommunikation. 61

7.     Prozess des Projektes. 67

7.1 Prozessdynamik: aktive und stockende Phasen, hemmende und fördernde Kräfte. 67

7.2 Ein anderer Annäherungsversuch: der evolutionäre Blick. 68

8. Abschließende Bewertung. 70

8.1 Zielerreichung/Zielweiterentwicklung. 70

8.2 Was würden wir anders machen, „lessons learned". 71

8.3 Nachhaltigkeit des Projektes. 72

8.4 Projektarbeit aus Sicht der externen Begleitung. 73

8.5 Ausblick. 74

 


Vorwort

Das Projekt „Mit System zum Erfolg“ hatte den Betriebsrat bei Volkswagen in Emden schon lange vor dem eigentlichen Projektstart beschäftigt. Die ersten Kontakte mit Dr. Otto Training und Consulting im Herbst 2004 hatten uns neugierig gemacht. Wir bekamen als IG Metall-Fraktion im Betriebsrat den Eindruck, einen Weg zu finden, um unsere Probleme zu lösen. Wir waren damals überzeugt, gute Betriebsratsarbeit zu leisten und bekamen dies auch über die Betriebsratswahlen bestätigt. Aber wir waren genauso überzeugt, dass auch Betriebsratsgremien an sich arbeiten müssen, um erfolgreich, die ihm anvertrauten Aufgaben lösen zu können. Dabei gingen wir davon aus, dass sich das Gremium insgesamt, aber auch die kleineren Unter­organisationen wie Fachausschüsse weiterentwickeln mussten.

Ja, mussten, wir waren nämlich auch davon überzeugt, dass so gut die herköm­mliche Arbeitsweise auch funktionierte, der Wandel kommen musste. Denn nur mit einer weiter entwickelten Betriebsratsarbeit konnten wir davon ausgehen, in der dramatisch veränderten Wirtschafts- und Volkswagenrealität bestehen zu können. Es war vorherzusehen, dass es um einen grundlegenderen Wandel gehen musste, der die Organisation, aber auch die einzelnen Betriebsräte in ihrer Person und ihren Fähigkeiten betraf. Wir wollten Menschen und Organisationen stärken, um auf diesem Weg, die Mitbestimmung in einem wichtigen Standort bei Volkswagen zu unterstützen. Uns war von Beginn an klar, dass dieses Projekt Prozesse in Gang setzen würde, die viel Zeit in Anspruch nehmen würden. Veränderungen benötigen oftmals viel Zeit – gerade wenn es sich um Betriebsratsstrukturen handelt, die nicht „von oben“ vorgegeben werden können. Deshalb hatten wir eine lange Projektdauer im Blick. Aber wir wollten auch den einzelnen Menschen Zeit geben, um reflektieren und sich entwickeln zu können.

Wir wollten mit diesem Projekt modellhaft neue Wege gehen, um Lösungen zu finden, die auch für andere Betriebsräte von Bedeutung sein könnten. Dabei hatten wir nicht nur Betriebsräte aus Großunternehmen in der Metallindustrie im Blick, sondern ganz bewusst auch Gremien aus kleineren und mittleren Betrieben.

Damit hatte dieses Projekt für uns als Betriebsrat bei VW in Emden und für die IG Metall der Verwaltungsstelle in Emden eine herausragende Bedeutung. Das dieses möglich war, verdanken wir in erster Linie der Hans-Böckler-Stiftung, die dieses zweieinhalbjährige Projekt gefördert hat. Dies ist deshalb besonders hervorzuheben, da es sich seitens der Stiftung auch um einen erheblichen Vertrauensvorschuss gegenüber den Projektverantwortlichen handelte.

Dieses Projekt war zudem in dieser Form möglich, da Volkswagen seinen Teil dazu beigetragen hat und damit unter Beweis gestellt hat, dass die Mitbestimmung auch in dieser Form in diesem Unternehmen gelebt werden kann. Wir möchten uns darüber hinaus bei allen Mitgliedern des Beirates bedanken, die mit ihren Anregungen und ihrer konstruktiven Kritik das Projekt in einem besonderem Maße voran gebracht haben. Bedanken wollen wir uns auch bei allen, die in irgendeiner Form dieses Projekt unterstützt haben, ob im Rahmen der Betriebsrätekonferenz, in Gesprächen oder in der Mitarbeit in Arbeitsgruppen. Und wir möchten uns bei Dr. Klaus-Stephan Otto und seinem Team für die unermüdliche Arbeit bedanken, die uns zu jeder Zeit durch ein sehr erfolgreiches Projekt geführt haben.

Peter Jacobs (Betriebsratsvorsitzender)

Martin Refle (Vorsitzender der IG Metall-Fraktion)

Herta Everwien (Vorsitzende der Vertrauenskörperleitung)

Wilfried Alberts (Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Emden)


Kurzzusammenfassung

 

Ein gutes Projekt erreicht seine Ziele nicht. So lautete ein provokanter Leitsatz der Projektleitung für die prozessoffene Vorgehensweise im Projekt „Mit System zum Erfolg“, bei der Ziele immer wieder an neue Erfordernisse angepasst werden müssen. Und doch wurden im Projekt ganz beachtliche Ziele gesetzt und auch erreicht. Der Projektprozess, die Vorgehensweise und die Ergebnisse werden in diesem Bericht dargestellt.

Der Betriebsrat des Volkswagen-Werkes Emden hat schon vor dem Projektbeginn 2007 sehr gute Arbeit geleistet und eine hohe Unterstützung der Belegschaft erfahren. Aus dieser Stärke heraus beschloss der Betriebsrat, sich einer Weiterentwicklung und einer begleiteten Systematisierung der Arbeit zu stellen. Dank der Förderung der Hans-Böckler-Stiftung und der Unterstützung durch die Volkswagen AG konnte dieser Prozess über einen Zeitraum von über zweieinhalb Jahren begleitet und gesteuert werden. Durch die verhältnismäßig lange Projektlaufzeit konnten Themen längerfristig verfolgt, Prozesse implementiert und auch Täler durchschritten werden, um zu neuen Höhen zu gelangen.

Das Ziel des Projektes war, die Arbeit des Betriebsrates im VW-Werk Emden zu strukturieren und systematisieren, um es dem Betriebsrat zu ermöglichen, den Herausforderungen moderner Betriebsratstätigkeiten besser begegnen zu können. Die Ergebnisse des Projektes sollten so aufbereitet werden, dass sie auch von Betriebsräten an anderen Standorten und in anderen Branchen genutzt werden können.

Eine der größten Stärken des Projektes war das Bearbeiten von so genannten harten und weichen Themen. So wurde einerseits die Systematisierung der Betriebsratsarbeit aufgegriffen, andererseits wurden Tabuthemen thematisiert, wie z.B. Führen und geführt werden im Betriebsrat.

Vier inhaltliche Themenfelder haben sich im Laufe der Arbeit herausgebildet: Strategiearbeit, erfolgreich Verändern, Führung, zusammen mit Personalentwicklung und Qualifizierung der Betriebsräte sowie das Thema Kommunikation im Betriebsrat und mit der Belegschaft. Diese Themen und ihre Relevanz für die Betriebsratsarbeit werden in Abbildung 1 dargestellt. Bestimmte gut funktionierende Prozesse, wie z.B. die jeweilige konkrete Interessenvertretung, wurden nicht aktiv bearbeitet, anstelle dessen wurden jene Prozesse bearbeitet, bei denen ein stärkerer Handlungsbedarf identifiziert wurde.

 

Abbildung 1
Die vier bearbeiteten Themenfelder im Projekt

 

Die vier behandelten Themenfelder stellen relevante Handlungsfelder für eine nachhaltige Betriebsratsarbeit dar. Dies bedeutet, dass der Betriebsrat in die Lage versetzt wird, die folgenden Merkmale einer nachhaltigen Betriebsratsarbeit zu bearbeiten:

·      Nachhaltigkeit hinsichtlich Produkten, Produktionsmethoden und Produktressourcen (z.B. bezüglich „grüne Fabrik“, siehe Kapitel 6.2)

·      Nachhaltigkeit in der täglichen Arbeit, in Bezug auf eine langfristige Wirkung der Betriebsratsarbeit

·      Nachhaltigkeit durch langfristige Existenz des „Organismus“ Werk Emden Betriebsräte sind stärker noch als das Management Garant für ein konsequentes Eintreten für die Arbeitsplätze vor Ort

·      Nachhaltigkeit als gesamtes Politikkonzept (z.B. Einbindung in die Region und Entwicklung der Region)

Das Projekt ist seit Herbst 2009 offiziell abgeschlossen, es ist aber wichtig, kontinuierlich weiterzuarbeiten und die Energie und die Ergebnisse aus dem Projekt weiter in die Betriebsratsarbeit zu integrieren.


1.      Einleitung

 

Das Projekt „Mit System zum Erfolg“ im Betriebsrat VW Emden setzte sich zum Ziel, den Betriebsrat zu unterstützen, die vielschichtigen Herausforderungen moderner Betriebsratsarbeit besser meistern zu können. Im Prozess sollten Vorgehensweisen und Instrumente entwickelt werden, die auch in anderen Betriebsräten Anwendung finden und die dortige Arbeit unterstützen können. Insgesamt sollte dieses Projekt einen Teil zur Stärkung der Mitbestimmung in Deutschland beitragen.

Das Arbeitsumfeld und die Anforderungen an Betriebsräte haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Die Komplexität der Veränderung von Mit­bestim­mungs­arbeit macht es schwer, einen einzelnen Ansatzpunkt zu finden, um wirkliche Verbesserungen in der Betriebsratarbeit zu erreichen. Das Projekt hat daher versucht, an Fragen der Struktur, der Kommunikation und der einzelnen Menschen im Betriebsrat an einer Reihe von unterschiedlichen Punkten anzusetzen und dadurch insgesamt in der Verbesserung der Arbeit des Betriebsrates voranzukommen. Durch die Vielfältigkeit der Themen war es herausfordernd, die wichtigen Punkte heraus­zufiltern und den Überblick zu behalten, welche Ziele zu welcher Zeit verfolgt werden müssen. Im Nachgang können wir sagen, dass das Projekt an den richtigen Punkten ansetzte und wertvolle Ergebnisse erzielen konnte. Das Projekt startete im April 2007, die Projektarbeit endete im Dezember 2009. Dieser Bericht soll einen Überblick über den Projektverlauf, die erzielten Ergebnisse und die Erfahrungen der Beteiligten geben.

Die Vorgehensweise des Abschlussberichts orientiert sich zunächst an der Ausgangslage und den Zielsetzungen aus dem Projektantrag, die in den Kapiteln 1 und 2 beschrieben sind. Dort finden sich auch Ziele, die im Laufe des Projektes hinzugekommen sind. Im darauf folgenden Kapitel 3 wird ein Erklärungsmodell vorgestellt, das letztlich den „roten Faden“ für das Projekt darstellt. Es verdeutlicht, warum in diesem Projekt vornehmlich an so genannten „weichen“ Faktoren gearbeitet wurde und stellt zudem diese in einen Zusammenhang. Die Kapitel 4 und 5 beschreiben die Projektstruktur und geben einen Überblick über Phasen des Projektes und damit über den zeitlichen Ablauf. Im 6. Kapitel werden vier Schwerpunkthemen analysiert, die sich auf Basis des Erklärungsmodells entwickelt haben und so eine Fokussierung der Themen ermöglichen. Die beiden abschließenden Kapitel 7 und 8 fassen verschieden Einsichten zusammen. Hier geht es im Wesentlichen um die Perspektive: Ist es einmal der Prozess, der im Blickpunkt steht, ist es das andere Mal der so genannte evolutionäre Blick, der eine neue Sichtweise bietet. Hinzu kommen Ergebnisse, die erst aus einer abschließenden Beurteilung sichtbar werden und das, was beim nächsten Mal besser zu machen ist.

Zu erwähnen ist, dass dieses Projekt zusätzlich zu den alltäglichen Arbeitsanforderungen stattfand und somit für einige Projektteilnehmer eine erhebliche Zusatzbelastung darstellte. Deshalb bedanken wir uns auch noch ausdrücklich bei all denjenigen, denen es ein Anliegen war, sich zu beteiligen und diese zusätzliche Belastung auf sich zu nehmen.

Besonderer Dank gebührt der Hans-Böckler-Stiftung dafür, dass sie die Fragestellung aufgenommen hat und dessen Bearbeiten so langfristig unterstützt hat. Vielen Dank an Lothar Kamp für die inhaltliche und organisatorische Betreuung des Projektes. Außerdem möchten wir uns bei dem Beirat für seine wertvollen Anregungen bedanken. Das Projektteam dankt weiterhin den Betriebsräten, der Leitung des Betriebsrates und dem Vertrauenskörper der IG Metall für ihre intensive Mitarbeit und den anregenden, oftmals durchaus auch kritischen Diskussions­beiträgen. Wir danken auch der Volkswagen AG für die Unterstützung des Projektes.

 

1.1 Mitbestimmungslandschaft in Deutschland

Seit der Antragstellung des Projektes im Herbst 2006 blieb die gesetzliche Lage unverändert. Dennoch hat sich mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der Rahmen massiv gewandelt. Viele Betriebe und damit Arbeitsplätze bleiben gefährdet. Der massenhafte Abbau von Arbeitsplätzen wurde zwar durch den Einsatz von Kurzarbeit verhindert. Dennoch haben zunehmende Liquiditätsengpässe viele Unternehmen, gerade mit Fortdauer der Krise bedroht. Damit rückte die Beschäftigungssicherung als zentrales Thema in den Fokus der Betriebsratsarbeit sowie in die öffentliche Diskussion.

Die Verfasser gehen davon aus, dass die Bedeutung der Gewerkschaft und Betriebsräte in der öffentlichen Wahrnehmung zugenommen hat: Als wichtiger Vertreter zur Wahrung grundlegender Interessen wie Arbeitsplatzerhalt, aber auch als wichtiger Akteur für eine gerechte Republik/Gesellschaft. Wichtige Impulse hierfür entstanden insbesondere aus der Entwicklung bei Opel und der medialen Präsenz der Arbeitnehmervertreter in diesem Zusammenhang.

Zudem bestand in gewerkschaftlichen Kreisen die Befürchtung, dass erhebliche Veränderungen in der Frage der Mitbestimmung bzw. der innerbetrieblichen Demokratisierung bevor stünden. So sind scheinbar wenig „spektakuläre“ Maß­nahmen wie die Umdeutung des § 77 III BetrVG und des damit verbundenen Günstigkeitsprinzips grundlegende Änderungen mit erheblichen Auswirkungen.

Bei VW spiegelte die Auseinandersetzung zwischen Porsche und VW auch einen grundlegenden Konflikt um die Mitbestimmung bei Volkswagen wider. Dieser ging mit der sinkenden Liquidität und der verschlechterten Situation bei Porsche zugunsten von VW aus, während sich VW gleichzeitig positiv entwickelt hatte. Wichtig ist, dass dies vor dem Hintergrund einer starken Mitbestimmung bei VW geschah. Angesichts des Skandals um Betriebsräte 2005 und seinen Nachwirkungen war dies nicht selbstverständlich.

Der Konflikt um das VW-Gesetz mit der Garantie der speziellen Rolle des Landes Niedersachsen spielte eine elementare Rolle. Es konnte in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung ein neues Gesetz verabschiedet werden, das aus dieser Sicht mit den Vorgaben des EuGH kompatibel ist. Bemerkenswert war hierbei die Rolle der Bundesregierung: Sie hatte eine aktive Rolle zur Erhaltung des Gesetzes eingenommen, für die auch die CDU und die Bundeskanzlerin Angela Merkel stand. In der EU-Kommission und bei arbeitgebernahen Interessenvertretern wurde dies anders beurteilt, so dass weitere Auseinandersetzungen bevorstehen.

Im Gesamtbetriebsrat gab es das Ziel, Kapital an die Belegschaft zu binden. Ohne eine Größenordnung festzulegen, wurde eine Grundsatzvereinbarung mit den beiden Eigentümerfamilien Piёch und Porsche dazu getroffen. In der Summe wurde mit den Anteilen des Landes Niedersachsen eine Sperrminorität geschaffen, die dauerhaft die Mitbestimmung des Gesamtbetriebsrates und der IG Metall garantieren soll. Ein erster wichtiger Schritt war die Bestätigung wichtiger Verhandlungsergebnisse zwischen Porsche und Volkswagen sowie mit den Familien Piёch und Porsche in die Satzung des Volkswagen-Konzerns. Dabei ging es in erster Linie um die höhere Quotierung von grundlegenden Entscheidungen wie Standortschließungen. Danach sind mindestens 80 Prozent notwendig (in anderen Aktiengesellschaften 75 Prozent). Zudem wurden zwei Vertreter der jeweiligen niedersächsischen Landesregierung in den Aufsichtsrat festgeschrieben. Niedersachsen wurde als wichtiger strategisch denkender Partner verstanden, der hinsichtlich der Beschäftigung größere Gemeinsamkeiten mit der Arbeitnehmervertretung hat.

Dies glückte auf Basis einer enormen Beteiligung der Belegschaften. Alleine bei der zentralen Kundgebung für das VW-Gesetz am Konzernsitz hatten sich über 40.000 Menschen beteiligt. Hinzu kam eine eingereichte Petition beim Bundestag, die von über 150.000 Menschen unterzeichnet wurde. Dieses Engagement zeigt, dass diese Auseinandersetzung nicht nur eine Auseinandersetzung der Betriebsräte und Vorstände war, sondern gesamte Belegschaften und Familien erfasst hatte. Damit gab es gerade für die Betriebsräte bei Volkswagen enormen Rückenwind, um diesen Konflikt erfolgreich bewältigen zu können.

Mit dem Wechsel im Vorstand von Pischetsrieder/Bernhard zu Winterkorn gab es eine deutliche Beruhigung hinsichtlich der Mitbestimmung. So hatte insbesondere das ehemalige Vorstandsmitglied Bernhard mit seinen Drohungen, traditionelle VW-Werke zu schließen oder den Konzernsitz aus Wolfsburg zu verlagern zu erheblicher Unsicherheit und Unfrieden geführt. Dadurch gab es starke Auseinandersetzungen mit der IG Metall und den Betriebsräten, die zu einem zerrütteten Verhältnis der Sozialpartner führte und letztlich auch zur Ablösung der beiden Vorstände beitrug. Der neue Vorstand hingegen akzeptierte die Mitbestimmung und damit die Rolle des Betriebsrates. Gerade vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Volkswagen und Porsche verschaffte sich die Arbeitnehmervertretung nicht nur eine vertraglich verbesserte Situation (siehe oben), sondern auch erheblichen Respekt beim Vorstand.

 

1.2 Betriebsratsarbeit in VW-Werk Emden vor dem Projekt

Die Betriebsratsarbeit fand zu Beginn des Projekts in einem erfolgreichen betrieblichen Umfeld statt. Nach Jahren durchschnittlicher und bisweilen schlechter Kennzahlen (insbesondere in den Hauptfeldern Stückzahl, Kosten und Qualität) konnte der Standort Emden glänzen. Zudem setzt sich die Werkleitung im Sinne der Beschäftigungssicherung und der Region ein. Damit gab es trotz „natürlicher“ Konflikte mit dem Betriebsrat, beispielsweise bei dem Thema Rationalisierung, eine wichtige gemeinsame Basis.

Nach einem viertel Jahr änderte sich die Konstellation. Ein Wechsel des Werkleiters stand beispielhaft für den Wechsel, der auf mehreren Ebenen des Managements stattfand. Der Betriebsrat wurde quasi zur Konstante hinsichtlich der Werkssteuerung. Diese Zunahme an Steuerungsfunktionen des Betriebsrats hat seine Basis in der ausgeweiteten Mitbestimmung bei Volkswagen, aber auch in dem sehr häufigen Wechsel im Emder Management.

Zeitgleich verschlechterten sich wichtige Zahlen der Fabrik, so dass der Standort seitens der Zentrale zunehmend kritisch beurteilt wurde. In 2007 begann die Produktion des dritten Modells, des Coupés. Gleichzeitig ging der Anteil der zu bauenden Limousinen-Fahrzeuge zurück. In der Folge wurde das Thema Beschäftigungssicherung wieder in den Mittelpunkt gerückt. Denn immer deutlicher wurde, dass sich trotz des Tarifvertrages zur Beschäftigungssicherung, ein Personalüberhang für Emden entwickeln würde. So errechnete der Vorstand für 2010 einen durchschnittlichen Überhang von über 700 Beschäftigten. Für 2012 war sogar von über 1.200 Beschäftigten die Rede.

Gleichzeitig zeigte sich, dass die Wirtschaftskrise auch Volkswagen erreicht hatte. Insbesondere Standorte wie Emden wurden erfasst, da die so genannte Abwrackprämie den Absatz größerer Fahrzeuge wie den Passat kaum beeinflusst hatte. 2009 stellte sich heraus, dass der Standort mit „einem blauen Auge“ davon gekommen ist. Mit acht Kurzarbeitstagen blieb die Anzahl niedrig, gleichzeitig gab es Samstagsschichten im Juni, August und November. Diese stark wechselnde Situation, war für viele Werksangehörige nur noch schwer nachzuvollziehen. Der Betriebsrat stand vor diesem Hintergrund vor einer schwierigen kommunikativen Aufgabe.

Für die Belegschaften war das Krisenjahr 2009 nur schwer zu begreifen: Tariferhöhungen, Rekordbonus, garantierte Übernahme für die Ausgebildeten sowie eine Altersteilzeitregelung, die alle wegfallenden staatlichen Zuschüsse kompensierte, ließen alles andere als Krisenstimmung aufkommen.

 

1.3 Die Arbeit im Betriebsrat

Der Betriebsrat hatte zu Projektbeginn folgende Struktur: Von den 37 Betriebsräten gehören 32 zur IG Metall-Fraktion (IGM), 4 zur Gemeinschaft Ehrlicher Metaller (GEM) und einer zur Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM). Im Laufe der Legislaturperiode wechselte ein Mitglied der GEM zur IG Metall-Fraktion, so dass diese auf 33 Betriebsräte anwuchs (siehe Abbildung 2). Bei Volkswagen sind alle Betriebsräte von der übrigen betrieblichen Arbeit freigestellt.

 

Abbildung 2
Fraktionen im Betriebsrat, VW Emden, Stand: Januar 2010

 

Der Emder Betriebsrat ist über den Standort hinaus in die Konzernstrukturen eingebunden. Damit ist er an vielen standortübergreifenden Gremien beteiligt: Dies gilt einerseits für den Konzern- und Weltbetriebsrat, die alle Marken und deren Vertretungen umfassen sowie für die Gesamtbetriebsratsstrukturen, die nur für die Marke Volkswagen und die Marke VW Nutzfahrzeuge zuständig sind. Auf der Gesamtbetriebsratsebene sind nicht nur die Vorsitzenden des Betriebsrates tätig, sondern auch die Vorsitzenden einiger Fachausschüsse aus Emden.

Die IG Metall-Fraktion hatte sich in vier Bereiche organisiert, die an die Unternehmens­struktur angelehnt sind. In den vier Bereichen bzw. Cost-Centern wird die Arbeit mit 29 Betriebsräten vor Ort in den Werkshallen durchgeführt und wird durch vier zentral eingesetzte Betriebsräte ergänzt. Die zentrale Vertretung besteht aus dem Betriebsratsvorsitzenden, seinem Stellvertreter, dem Vorsitzenden der IG Metall-Fraktion und dem Vorsitzenden des Ausschusses für Entgelt. Sie werden unterstützt durch einen Geschäftsführer und zwei Referenten sowie das Sekretariat.

In elf Fachausschüssen werden die Fachaufgaben abgearbeitet. In diesen Fachausschüssen sind auch die anderen Fraktionen vertreten. In Form von Arbeitsgruppen wurden bereits vor dem Projekt erste Schritte zur Projektarbeit unternommen.

In den folgenden beiden Grafiken wird zum einen (Abbildung 3) die gesetzliche „Basisstruktur“ und zum anderen (Abbildung 4) die erweiterte Situation in Emden dargestellt

 

Abbildung 3
Die gesetzliche Basisstrukur (der Betriebsausschuss/Betriebsrat bildet Fachausschüsse)

 

In der Abbildung 4 wird die Struktur in Emden gezeigt. Dort gibt es einen erweiterten Betriebsausschuss, in dem zusätzlich die IG Metall, die Vertrauenskörperleitung und die Referenten eingebunden sind. Zu sehen sind unterhalb des Betriebsausschusses die Bereiche, die die Cost-Center-Strukturen des Werkes abbilden. In diese vier Bereiche sind die einstigen Angestellten-Betriebsräte integriert worden. Der Integrationsprozess der Angestellten ist inzwischen abgeschlossen. Für die Bearbeitung spezieller Themen der Beschäftigten mit „Angestellten-Tätigkeiten“ existiert ein eigener Ausschuss.

Abbildung 4
Struktur der Betriebsratsarbeit in Emden

 

Die Arbeit des Betriebsrates hatte zu Projektbeginn folgende Merkmale:

Es gab keinen durchgehenden strategischen Prozess verstanden als eine systematische Darstellung der langfristigen Vorgehensweise des Betriebsrates in der Fraktion / dem Betriebsrat. Zwar hatten zentral eingesetzte Betriebsräte strategisch gearbeitet, so wurden beispielsweise wichtige Erfolge wie das dritte Modell für das Werk Emden (Coupé) erst dadurch möglich. Dennoch war dieser Prozess nicht durchgehend nach oben bzw. nach unten eingebettet: Weder auf Gesamtbetriebsratsebene noch auf Ebene der Bereiche und aller Fach­ausschüsse. Damit verbunden waren Probleme hinsichtlich der Nachhaltigkeit der eigenen Arbeit. Es wurden Prozesse initiiert, die dann nicht hinreichend überprüft wurden und in der Konsequenz nicht die gewünschten Erfolge nach sich zogen. So wurden Instrumente wie Kennzahlen oder Erfolgskriterien bis zum Projektbeginn nicht eingesetzt.

Es gab zudem keinen umfassenden Überblick über die Prozesse der Betriebsratsarbeit, so dass in der Folge Parallelarbeiten entstanden, die die Arbeit insgesamt ineffizienter werden ließen. Hinzu kam, dass mit der Bündelung von Prozessen und damit auch von Ressourcen eine größere Durchschlagskraft gegenüber dem Management möglich gewesen wäre. Eine weitere Folge war der Mangel an klaren Zuständigkeiten. So hatten zum Beispiel mehrere Ausschüsse und mehrere Bereiche angegeben, sich mit dem Thema Demografie auseinander­zusetzen. Aber wer, mit welcher Kompetenz blieb ungeklärt. Das bedeutete, dass bestimmte Themen wie Demografie nicht systematisch angegangen wurden.

Grundsätzlich ist das Arbeiten mit standardisierten Arbeitsprozessen in der Betriebsratsarbeit, die von allen in der gleichen Weise durchgeführt werden, nur teilweise vorhanden gewesen. Inhaltlich hatten sowohl die Bereiche als auch die Ausschüsse nur sehr bedingt derartige Reglementierungen zugelassen. Das war umso weniger möglich, weil es auf verschiedenen Ebenen Misstrauen gab. Zwischen den Bereichen, aber auch zwischen den zentral eingesetzten Betriebsräten und den Bereichen hatte Misstrauen gemeinsames Vorgehen gebremst. Auch technische, räumliche oder personelle Ressourcen wurden nicht offen angesprochen, geschweige denn standardisiert.

Die Zeitstruktur hatte diese Situation weiter verschärft: Plötzliche, oft durch das Management ausgelöste Termine, hatten wie in einem Dominosystem Termine der Betriebsräte vor Ort immer wieder infrage gestellt. Nicht selten mussten individuelle Zeitplanungen geändert werden, so dass es in der Folge erhebliche Vorbehalte gegenüber der zentralen Termingestaltung und Arbeitsweise gab.

Themen wie Qualifizierung und Personalentwicklung wurden nur bedingt systematisch angegangen. Die Fachausschüsse hatten ihre Mitglieder qualifiziert, viele Betriebsräte hatten regelmäßig an Qualifizierungen teilgenommen, aber eine geplante und abgestimmte Qualifizierungsmatrix gab es nicht. Personalentwicklung fand ebenfalls nur bedingt statt. Es gab kein Anforderungsprofil, so dass an Betriebsratsarbeit interessierte Kolleginnen und Kollegen sich nicht orientieren konnten. Es gab teilweise Aussagen über inhaltliche Anforderungen, aber kaum definierte Kriterien für überfachliche Dimensionen. Zudem gab es keine Aussagen, was denn eine „Karriere als Betriebsrat“ für Möglichkeiten bietet und wohin die jeweilige Reise hätte führen können. Karriereplanung als Betriebsrat ist zudem ein Thema hinter verschlossener Tür gewesen.

Die interne Arbeitsweise des Betriebsrates ist trotz insgesamt erfolgreicher Arbeit von Intransparenz, geringer Standardisierung, zu geringer Strategiearbeit und zu wenig Nachhaltigkeit geprägt gewesen. Dennoch wurde gute Arbeit geleistet und es wurden gute Ergebnisse erzielt. Die insgesamt gute Betriebsratsarbeit wurde allerdings stark von den Leistungen Einzelner geprägt. Großes Engagement und eine hohe Qualität der Arbeit Einzelner bzw. kleiner Gruppen hatte andere Schwächen ausgeglichen. Dies führte zu einer starken Belastung von Gremien sowie einzelner Betriebsräte. Damit hatte das System Betriebsrat funktioniert, war aber hinsichtlich seiner dauerhaften Belastungsfähigkeit anfällig. Zudem bekamen die „Leistungsträger“ zunehmend Probleme, die anderen Betriebsräte „mitzunehmen“. Die Gefahr eines „sich Entfernens“ voneinander nahm damit erheblich zu. Darüber hinaus stellte die einseitige Belastung Einzelner teilweise auch ein gesundheitliches Problem dar: Hohe Verantwortung, Termindruck und Konflikte führten zu einer erheblichen Beanspruchung.

Zwischen den Fraktionen war das Verhältnis, insbesondere zwischen der IG Metall und der „Gemeinschaft Ehrlicher Metaller“, sehr problematisch. Viele Konflikte und letztlich häufige Termine beim Arbeitsgericht kennzeichneten das angespannte Verhältnis, das von großem gegenseitigem Misstrauen geprägt war.

Auffallend sind die großen Bildungs- und Qualifikationsunterschiede innerhalb des Betriebsrates. Mit diesen Unterschieden ist nicht immer leicht umzugehen. Das Problem betrifft zum Beispiel die Bereitschaft, sich mit längeren Texten auseinanderzusetzen, den IT-Umgang oder auch die Kenntnis komplexer wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Sachverhalte. Dies ist der Fall bei einer gleichzeitig vorhandenen hohen intuitiven Kompetenz, die Voraussetzung ist, um als Betriebsrat gewählt zu werden.

Festzuhalten ist noch, dass im Vergleich zu anderen Betriebsräten, dem Betriebsrat bei Volkswagen eine Reihe von Ressourcen zur Verfügung stehen (Freistellung aller Betriebsräte, Referenten), die gerade bei kleineren und mittleren Betriebe nicht denkbar sind.

1.4 Problemstellung

Laut Projektantrag sollte das Projekt Strukturiertes Arbeiten Interessenvertretungen eine praktische Hilfe zur Bewältigung ihrer Aufgaben geben. Aktuelle Betriebsratsarbeit wird in einem sehr schwierigen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Umfeld geführt. Durch die Zunahme der Geschwindigkeit wirtschaftlicher Prozesse nimmt der Druck auf die Gremien und einzelne Personen ständig zu. Betriebsräte sind aufgefordert immer schneller Antworten und Stellungnahmen zu hochkomplexen Fragestellungen abzugeben. In der Folge droht die Gefahr, dass Interessenvertretungen mit dem Rücken zur Wand stehen und auch die Arbeitsfähigkeit und das Wohlergehen einzelner Mitglieder gefährdet sind. Mit der häufigen Konsequenz, dass Betriebsräte zunehmend in reagierende Handlungsmuster verfallen und nicht mehr ausreichend in der Lage sind, ihren Themen und damit ihrer Arbeit in einem proaktiven Sinne nachzugehen. Damit einher geht der drohende Verlust der Akzeptanz bei der Belegschaft und der Möglichkeit, eigene Lösungen für schwierige Fragen zu entwickeln. Es wird beispielsweise immer schwieriger, Auslagerungs­“lösungen“ des Managements mit adäquaten Fragen zu begegnen, geschweige denn alternative Szenarien zu entwickeln.

Wir wollten mit dem Projekt „Strukturiertes Arbeiten“ Wege und Instrumente entwickeln, die Betriebsräten neue Handlungschancen aufzeigen. So sollte das tägliche (überwiegende) „Fire-Fighting“ relativiert und in ein strategiegeleitetes Gesamtkonzept und –handeln eingebettet werden.

Die Erarbeitung von Strategien und das Kartieren der Betriebsrats-Arbeit hatten in der Projektplanung einen zentralen Stellenwert. Aufbauend auf einer vorangegangenen Analyse sollten strategische Ziele und Konzepte erarbeitet werden.

Dabei sind für das Projekt die folgenden Fragen im Antrag festgelegt worden:

Ø  Welche Eigenschaften und Fähigkeiten hat ein idealtypisches Betriebsrat-Gremium?

Ø  Wie sehen seine optimierten Strukturen aus?

Ø  Mit welchen Instrumenten gewährleistet er eine effektive Arbeit im Sinne der Mitarbeiter?

Ø  Welche Fähigkeiten, Eigenschaften und Qualifikationen benötigt ein moderner Betriebsrat?

 


2.      Projektziele

 

2.1 Anknüpfung an Projektantrag, neuere Entwicklungen

Im Projektantrag formulierten wir bereits, dass ein multifunktionaler Ansatz gewählt werden sollte, um den ganzheitlichen Ansprüchen des Projektes gerecht zu werden. Anstelle von Einzelmaßnahmen, -instrumenten und -ansatzpunkten, wollten wir den Betriebsrat VW Emden als Ganzes unterstützen, mit den Herausforderungen moderner Betriebsratsarbeit effektiv umzugehen. Dazu sollte die tägliche Arbeit des Betriebsrates mit einer Personal- und Organisationsentwicklung verbunden werden.

Die Prüfung und Weiterentwicklung der bisherigen Strukturen und die Unterstützung nachhaltiger Arbeit durch die Entwicklung eines Controlling Systems mit Hilfe von Kennzahlen und Erfolgskriterien gehört zu diesen Zielen. Ein vorangestellter Strategieprozess sollte zur Entwicklungssteuerung beitragen. Die Kommunikation in und von dem Betriebsrat sollte geprüft und ggf. optimiert werden. Mit der Befähigung der Mitglieder des Betriebsrates prozesshaft vorzugehen und zu lernen, sollte die Veränderungskompetenz des Betriebsrates als Ganzes gesteigert werden.

Ziel des Projektes war weiterhin, vielfältige Instrumente zu entwickeln, die für Betriebsräte und Interessenvertretungen in anderen Unternehmen und Organisationen anwendbar seien. Diese würden den Betriebsräten in Form eines Handbuches verfügbar gemacht werden. 

Im Laufe des Projektes hat sich gezeigt, dass die Einführung einer Balanced Scorecard ein geeignetes Mittel für die Kennzahlendarstellung und –überprüfung ist. Im Prozess wurde deutlich, dass die BSC nach Ihrer Einführung besonders als Überprüfungstool der Strategieorganisation verwendet wird.

Wikipedia definiert die Balanced Scorecard (BSC) folgendermaßen: Die BSC ist ein Konzept zur Dokumentation der Ergebnisse aus Messungen der Aktivitäten eines Unternehmens im Hinblick auf seine Vision und Strategien, um Führungskräften einen umfassenden Überblick über die Leistungsfähigkeit und Effektivität der Organisation zu bieten. Die BSC fokussiert nicht nur auf die Finanzperspektive, sondern beinhaltet auch die menschlichen Aspekte, die die Treiber für die Ergebnisse sind, so dass sich die Organisation auf ihre Zukunft und langfristigen Interessen konzentriert. Aufgrund ihrer flexiblen und damit umfassenden Gestaltungsmöglichkeit kann die Balanced Scorecard ein wichtiger Teil eines integrierten Managementsystems sein.

 

2.2 Ursprüngliche Projektziele

Im Rahmen der Vorbereitung des Projektes wurden in einer Voruntersuchung und in Abstimmung mit den Beteiligten die im Projektantrag dargestellten Ziele zusammengestellt. Die folgenden Ziele wurden festgelegt:

Ø  „Entwicklung einer effizienten und hochwertigen Mitbestimmung im Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit, sozialer Balance und Demokratie

Ø  Kartierung der Betriebsratsrbeit mit Erstellung eines Überblicks über die Arbeitsfelder sowie einer Sammlung sinnvoller übertragbarer Kennzahlen und Erfolgskriterien

Ø  Durchführung und Evaluation eines Strategieprozesses auf der Basis eines Kennzahlensystems

Ø  Entwicklung von Instrumenten, die ein strukturiertes Arbeiten des Betriebsrats unterstützen

Ø  Entwicklung eines Handbuchs, das die Instrumente auch in anderen Betriebsräten anwendbar macht

Ø  Durchführung von Personal- und Teamentwicklungen zur Förderung des prozesshaften Lernens

Ø  Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Vertrauensleuten

Ø  Einführung eines Dokumenten- und Wissensmanagements für Betriebsräte

Im Laufe des Projektes kamen aber weitere Ziele hinzu, bzw. es wurde die Bedeutung der ursprünglichen Ziele an einigen Punkten verändert. Dieses Prinzip eines evolutionären Projektmanagements werden wir im nächsten Kapitel genauer erläutern.

 

2.3 Neu hinzugekommene Ziele

Im Verlauf des Projektes ergaben sich eine Reihe von weiteren Zielen, die in der ursprünglichen Projektplanung so nicht vorgesehen waren bzw. diese konkretisierten. Sie ergaben sich aus den Befragungen der Betriebsrat-Mitglieder zu ihrer Arbeit und im Rahmen der Umsetzung der ursprünglich geplanten Projektziele. Die neuen Ziele wurden in die Projektarbeit integriert:

Ø  Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen im Betriebsrat verbessern, Arbeitsgerichtsprozesse zwischen den Fraktionen verhindern

Ø  Zusammenarbeit zwischen den zentral eingesetzten Betriebsräten und den Betriebsräten in den Bereichen verbessern sowie zwischen den Bereichen untereinander

Ø  Zeit schaffen für die Arbeit vor Ort durch Verlässlichkeit und Transparenz der zentralen Termine

Ø  Verstärken und etablieren von Projektarbeit

Ø  Veränderungskompetenz der Betriebsräte verbessern

Ø  Stärkung der Arbeit der Betriebsräte vor Ort

Ø  Verbesserung der technischen Ausstattung der dezentralen Betriebsratsarbeit

Ø  Nachhaltige Betriebsratsarbeit durchführen

Ø  Führung in der Betriebsratsarbeit definieren und gewährleisten

Ø  Unterstützungsinstrumente bei individueller Überforderung einzelner Betriebsräte entwickeln

 

Auf der Betriebsrätekonferenz der Hans-Böckler-Stiftung zum Projekt im Herbst 2009 stellten die Teilnehmer Tabuthemen zusammen, die in der Betriebsrätearbeit weiterhin vorherrschen und die nicht adäquat thematisiert werden (siehe Abbildung 5). Eine Reihe dieser Themen wurden im Projekt bearbeitet, so z.B. bei der Bearbeitung der persönlichen Überlastung, der Erneuerung der Betriebsratsstrukturen und bei der Bearbeitung der Teamzusammenarbeit.

Tabuthemen der Betriebsratsarbeit

Abbildung 5
Tabuthemen der Betriebsratsarbeit


3.      Erklärungsmodell und Leitlinien für die Betriebsratsarbeit

 

3.1 Entwickeltes Erklärungsmodell für die Betriebsratsarbeit

[Verknüpfung zu (Ø) Handbuch (HB) Kap. 2.1: Übersichtsmodell, die dynamische Rolle des Betriebsrates]

Die praktische Betriebsratsarbeit, mit ihren Strukturen, persönlichen Entwicklungen und in ihrem Zusammenwirken ist sehr komplex. Daher entwickelten wir in der zweiten Projekthälfte ein Erklärungsmodell, um den Veränderungsbedarf und die Aufgaben des Betriebsrates besser verstehen zu können. Dies wurde von allen als außerordentlich hilfreich angesehen, da dadurch bestimmte persönliche Belastungen erklärbarer wurden, aber auch eine langfristige Orientierung geboten wurde.

Danach erfüllt der Betriebsrat seine Aufgaben gemäß des Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsgesetzes. Er vertritt mit seiner Tätigkeit die Interessen der Mitarbeiter des Unternehmens. Ein Unternehmen ist für uns keine Maschine, sondern ein komplexes lebendes System, ein Organismus. Der Betriebsrat setzt sich für den langfristigen Erhalt dieses „Organismus“ Unternehmen ein.

Nach unserer Auffassung braucht ein erfolgreiches Unternehmen auch eine Unternehmensführung, die für das langfristige Überleben des Unternehmens eintritt. Aber das ist heute leider nicht selbstverständlich, besonders in nicht eigentümergeführten Unternehmen.

Wenn die Unternehmensführung vor allem die Rendite-Interessen der Shareholder vertritt, ist es besonders die Aufgabe des Betriebsrates sich für das langfristige Überleben einzusetzen.

Rollenklarheit ist die Voraussetzung für ein solches erfolgreiches Handeln des Betriebsrates. Dieses Erklärungsmodell unterstützt die Positionierung des Betriebsrates von VW Emden.

Der Betriebsrat kann sich in seinem Feld verschieden positionieren: Abbildung 6 zeigt einen Betriebsrat, der zu nah an der Belegschaft ist und dadurch seine Rolle als Mittler für die Absicherung des langfristigen Erhalts des Unternehmens nicht ausreichend wahrnimmt. Es besteht die Gefahr, dass er sich opportunistisch bzw. kurzsichtig gegenüber der Belegschaft verhält und bestimmte eventuell auch unangenehme Schritte, die für den langfristigen Erhalt des Unternehmens notwendig sind, nicht geht.

Abbildung 6

 

Abbildung 7 zeigt einen Betriebsrat, der zu stark Co-Management Funktionen übernimmt und dadurch zu nah am Vorstand ist. Dadurch gerät er in die Gefahr, nicht mehr genug die Interessen der Belegschaft zu vertreten.

Abbildung 7

 

Abbildung 8 zeigt einen aus unserer Sicht idealen Betriebsrat, der eine dynamische Rolle einnimmt und dadurch in der Lage ist, als Interessenvertretung sowie Vermittler und Vertreter für den langfristigen Erhalt des Unternehmens zu agieren. Dieses Bewegungsfeld ist leicht gemustert gekennzeichnet. Der Betriebsrat geht nicht in der Belegschaft auf, in bestimmten Fragen muss er auch bereit sein, einen Konflikt mit Teilen der Belegschaft einzugehen, um den langfristigen Erhalt des Unternehmens abzusichern. Dies kann aber einer der Gründe für die hohe psychische Belastung von Betriebsräten sein, da sie mit denen in einen Konflikt gehen müssen, die sie gewählt haben.

 

Abbildung 8

Anmerkung: Diese Grafiken beziehen sich auf Strukturen im VW-Konzern. In anderen Unternehmen, können andere Strukturen vorherrschen.

 

Die dynamische Rolle, wie sie in Abbildung 8 dargestellt wird, kann eingenommen werden, wenn die Betriebsratsmitglieder ein klares Rollenverständnis haben. Dazu gehört in diesem Fall auch das Bekenntnis, ein Betriebsrat der IGM zu sein und sich als Konstante zu verstehen, die sich für den langfristigen und nachhaltigen Erhalt des Unternehmens einsetzt.

 

3.2 Was bedeutet nachhaltige Betriebsratsarbeit?

[ØHB Kap. 1 „Vier Aufgabenfelder des Betriebsrates – der rote Faden für Betriebsräte]

Veränderungen in einem solchen großen Gremium brauchen ihre Zeit. Im Verlaufe des Projektes bildete sich eine Begrifflichkeit heraus für das, worum es uns in diesem Projekt geht: nachhaltige Betriebsratsarbeit.

 

 

 

 

 

 

 

 

Was bedeutet Nachhaltigkeit

 

 

 

Abbildung 9
Die drei Säulen der Nachhaltigkeit

 

 

Grundsätzlich wird eine nachhaltige Entwicklung definiert „... als eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ (Voss, G., 1994, Sustainable Development: Leitziel auf dem Weg in das 21. Jhrd., Köln, S. 7.) Dieses Ziel wird erreicht indem die drei Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales als Handlungsfelder gleichberechtigt aufeinander abgestimmt werden, um der Menschheit auch langfristig eine Lebensgrundlage gewährleisten zu können

 

 

Was bedeutet nachhaltige Betriebsratsarbeit

 

 

 

Abbildung 10
Nachhaltige Betriebsratsarbeit

 

 

 

 

Die obige Grafik verdeutlicht, dass nachhaltige Betriebsratsarbeit im Wesentlichen auf vier Säulen beruht.

 

·      Nachhaltige Produkte / Produktressourcen / Produktionsmethoden (z.B. bezüglich „grüne Fabrik“, siehe Abschlußbericht Kapitel 6.2)

·      Nachhaltigkeit in der täglichen Arbeit, in Bezug auf eine langfristige Wirkung der Betriebsratsarbeit

·      Nachhaltigkeit durch langfristige Existenz des „Organismus“ Werk Emden Betriebsräte sind stärker noch als das Management Garant für ein konsequentes Eintreten für die Arbeitsplätze vor Ort

·      Nachhaltigkeit als Politikkonzept (z.B. Einbindung in die Region und Entwicklung der Region)

 

 

Das Fundament des Nachhaltigkeitskonzeptes für Betriebsräte im Projekt waren die vier Aufgabenfelder (Strategie, Veränderung, Führung / Personalentwicklung / Qualifikation, Kommunikation). Sie stehen im Fokus des Handbuches. Mit diesen Instrumenten können Betriebsräte die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit langfristig beeinflussen, indem sie die vier Säulen stärken. Die vier Aufgabenfelder beinhalten  im zugehörigen Handbuch Anleitungen, Werkzeuge, Checklisten, Analyseinstrumente, Beispielvorlagen, Übersichtsmodelle und Leitlinien, die in der täglichen Arbeit angewandt werden können. Sie helfen dabei, die Arbeit des Betriebsrates zu systematisieren und sichern so den nachhaltigen Erfolg des Betriebsrates.

 

Veränderungen können dann langsamer sein, wenn sie nachhaltig wirken. Schnelle Veränderungen, die nach kurzer Zeit wieder umgestoßen werden, weil sie sich nicht bewährt haben oder nicht genügend Unterstützung gefunden haben, kosten viel Energie, ohne dass sie viel bewirken. Im Hintergrundmodell war das langfristige Überleben des Unternehmens mit seinen Arbeitsplätzen das Ziel. Nachhaltige Betriebsratsarbeit stützt dieses Ziel, ist aber selber auch mit seiner Vorgehensweise auf Langfristigkeit angelegt und ordnet seine Arbeit in allgemeine Nachhaltigkeits­aspekte wirtschaftlichen Handelns ein. So wurden in der Projektlaufzeit eine Reihe von Aktivitäten des Betriebsrats durchgeführt, mit denen im Werk die Entwicklung hin zu einer grünen Fabrik unterstützt wurde. Am spektakulärsten war die Gründung einer Genossenschaft der Belegschaft, die für symbolische 1 € die Fabrikdächer mietete und darauf Solarzellen installierte.

Historisch gesehen war es in der florierenden Nachkriegswirtschaft Deutschlands die Aufgabe der Betriebsräte und der Gewerkschaften im Betrieb und im Rahmen der Tarifpolitik, für eine gerechte Verteilung der Erträge zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu sorgen und humane Arbeitsbedingungen zu fördern. Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung (insbesondere der Globalisierung) sind neue Aufgabenfelder auf die Betriebsräte zugekommen bzw. sind die Gewichtungen der einzelnen Aufgabenfelder verändert worden, z.B. sind Betriebesräte inzwischen sehr stark für die Arbeitsplatz­erhaltung sowie für die Erhaltung erkämpfter Standards generell zuständig. Dies bedeutet einen inhaltlichen und auch einen kulturellen Wandel für das Rollenverständnis zeitgemäßer Betriebsräte. Daraus haben wir vier Felder identifiziert, die für eine nachhaltige Betriebsratsarbeit bearbeitet werden müssen:

Ø  Strategiearbeit,

Ø  Erfolgreich verändern – neue Strukturen,

Ø  Führung/Personalentwicklung/Qualifizierung und

Ø  Kommunikation des Betriebsrates.

Erst die Entwicklung von Betriebsräten in diesen vier Feldern ermöglicht aus unserer Sicht die erfolgreiche Umsetzung der dynamischen Rolle wie sie in Abbildung 8 nachzuvollziehen ist. Aus diesem Grunde werden die vier Felder im Kapitel 6 ausführlich entwickelt.


4.      Zur Projektarbeit

 

Betriebsräte werden in Zukunft schneller agieren müssen. Dafür sind die traditionellen Gremienstrukturen nur noch bedingt in der Lage, da sie inhaltlich langfristig festgelegt sind und auf Grund aktueller Anforderungen schwer zu verändern sind. Projekte und Arbeitsgruppen sind in ihrer Arbeitsstruktur flexibel und sie lassen eine schnelle Neuorganisation der Beteiligten zu, unabhängig von dem jeweiligen Gremium, in dem sie außerhalb der Projektstruktur tätig sind. Definitorisch lassen sich die folgenden Unterscheidungen festhalten:

Ausschüsse: Der Betriebs- und der Wirtschaftsausschuss sind im BetrVG festgeschriebene Institutionen des Betriebsrates. Der Betriebsrat kann darüber hinaus weitere Ausschüsse bilden. Sie existieren kontinuierlich und bearbeiten während der Legislaturperiode bestimmte festgelegte Aufgaben.

Arbeitsgruppen: Sind in der Regel zeitlich terminiert, haben einen Anfang und ein Ende und bearbeiten bestimmte aktuelle konkrete Fragestellungen. Bei der Zusammensetzung sind alle Freiheiten gegeben, es können auch ExpertInnen oder KollegInnen außerhalb des BR daran teilnehmen.

Projekte/Projektgruppen: Projektthemen sind gegenüber Arbeitsgruppenthemen sehr viel komplexer. Der Begriff sollte benutzt werden, wenn eine eigene Projektstruktur aufgebaut wird (mit Steuerungsgruppe). Sie haben auch einen Anfang und ein Ende und können auch von den Teilnehmern her frei zusammengesetzt werden.  

Die Komplexität der hier bearbeiteten Fragestellungen machte eine Projektorganisation notwendig. Gleichzeitig sollte die projektmäßige Arbeitsweise des Vorhabens die Teilnehmer auch für weitere Projekt- und Arbeitsgruppenarbeit im Rahmen ihrer eigenen Betriebsratsarbeit schulen. Dies ist im Großen und Ganzen gelungen, wenngleich man sagen muss, dass die Beteiligung am Projekt durchaus in unterschiedlicher Intensität erfolgte.

 

4.1 Evolutionäres Projektmanagement

Für die Hauptakteure des Projektes war deutlich, dass das Projekt prozessoffen durchgeführt und Raum für evolutionäre Veränderungen gegeben werden sollte. Im Projektantrag wurde formuliert, dass zweierlei Strategien notwendig sind: „Zum einen brauchen Betriebsräte ein klar strukturiertes Arbeitsfeld mit überprüfbaren Zielen und effektiven Gremien sowie sie dabei unterstützende einfach handhabbare Instrumente, auf die schnell zurückgegriffen werden kann. Zum anderen brauchen Betriebsräte die Fähigkeit, flexibel zu agieren und prozesshaft zu denken. Nur in der Kombination von klaren Standards und flexiblem Handeln kann Betriebsratsarbeit effektiv sein.“ Das bedeutete, dass im Projektablauf, bestimmte Ziele zeitlich zurückgestellt wurden, wenn die Energie in der Gruppe für die Umsetzung noch nicht vorhanden war und andere Ziele für die Gruppe wichtiger wurden. Wir werden dies noch am Beispiel der Weiterentwicklung der Strukturen deutlich machen. Als Lernprozess wurde dann an anderen Punkten weitergearbeitet, bei denen eine höhere Veränderungsbereitschaft vorzufinden war und auch neue Umsetzungsziele vereinbart, die sich aus der laufenden Projektarbeit entwickelt hatten. Hier wurde nach dem Grundsatz vorgegangen, dass man bestimmte Themen auch „verbrennen“ kann, wenn man versucht sie „mit Gewalt“ umzusetzen.

Wie intensiv wir diese Vorgehensweise praktiziert haben und dass diese aber auch eine offensive und transparente Erklärung braucht, wurde erst vollständig beim ersten Beiratstreffen deutlich. Wir haben ein, wie wir es nennen, „evolutionäres Projektmanagement“ betrieben. Beim evolutionären Projektmanagement werden zunächst Ziele definiert. Nach einem gewissen Zyklus werden die Ziele und Ausgangs­bedingungen hinterfragt, Veränderungen des Projektumfeldes aufgegriffen, bisherige Erfahrungen eingebunden und die Ziele weiterentwickelt. Planung dient nicht der bedingungslosen Umsetzung, sondern bietet Orientierung. Da sich nach einer gewissen Projektlaufzeit die äußeren und inneren Bedingungen des Projektes verändern, neue Chancen aber auch Risiken entstehen , müssen die Ziele angepasst, Aufgaben ggf. gekürzt und andere neu hinzugenommen werden.

Wenn wir uns die Natur anschauen, verlaufen evolutionäre Entwicklungen nicht linear in einseitigen Aufwärtsentwicklungen, sondern häufig über Umwege, Sprünge oder Richtungsänderungen. Das gilt auch für Entwicklungen in Organisationen und Projekten. Folglich wird im evolutionären Projektmanagement das lineare Ursache-Wirkungs-Denken durch ein Denken in Kreisläufen und Entwicklungsspiralen ersetzt (siehe Abbildung 11).

Abbildung 11
Projektmanagement in evolutionären Zyklen

 

Die detaillierte Planung des Projektes mit klaren Teilzielen hat sich aber bewährt. Auch wenn man im Laufe des Projektes Ziele verändert, braucht man am Anfang eine Zielplanung, die dann ständig angepasst werden kann. Gerade bei prozessoffenen Projekten sind eine klare Struktur durch die Führung und genaue Zielvorgaben wichtig.

 

4.2 Projektplanung

Zum Start des Projektes wurde eine konkrete Projektplanung durchgeführt. Außerdem wurden jedes Jahr Jahresplanungen für das Projekt und für die Arbeit des Betriebsrats durchgeführt. Diese Planung wurde visualisiert und sollte mit den wichtigsten Ereignissen auf einem DIN A4 Blatt visualisiert werden.

Abbildung 12
Jahresplanung Projekt

 

Außerdem wurden Planungen auch mit der Methode „Mind Map“ visualisiert. (siehe Abbildung 19 in Kapitel 6.1). In der ersten Phase des Projektes wurde die Planung (z.B. Durchführung der vorgesehenen Analyse­aufgaben) gut eingehalten. Im weiteren Verlauf gab es dann erhebliche Verzögerungen am Thema Strukturveränderung, da hier die Zeit noch nicht reif war und dieses Thema in die Zeit nach dem offiziellen Projektende verlängert wurde. Ergänzend kamen dadurch andere Themen wie die Optimierung der Arbeit in den Bereichen dazu. Die Prozess-Planung des Projektes wurde weitestgehend eingehalten wie Abbildung 12 zeigt. Insgesamt kann gesagt werden, dass eine übersichtliche und visualisierte Planung für die Betriebsratarbeit gerade auch zur Koordinierung wichtig ist und es ist zu wünschen, dass eine solche Planung auch in die Tagesarbeit des Betriebsrates in Emden übernommen wird.

 

Abbildung 13
Zeitliche Planung und Durchführung des Projektes

 

4.3 Wer sind die Projektbeteiligten?

Mit Beginn des Projektes hatte das Projektteam eine Projektfeldanalyse vorgenommen. Das Ziel dieser Analyse ist, zu prüfen, welche Personen bzw. Institutionen das Projekt beeinflussen würden. Es war wichtig, nicht nur Unterstützer ausfindig zu machen, sondern auch mögliche „Bremser“ zu identifizieren.

 

Abbildung 14
Projektfeldanalyse

 

In der Abbildung 14 ist das Ergebnis einer Projektfeldanalyse zu sehen, wie sie das Projektteam zu Beginn des Projektes erarbeitet hatte. Dabei ging es zunächst darum, Akteure zu identifizieren, die innerhalb des VW-Werkes Emden zu finden sind und das Projekt voraussichtlich in irgendeiner Weise beeinflussen würden. Diese Beteiligten sind innerhalb des Kreises zu finden. Das Maß des zu erwartenden Einflusses auf das Projekt korrespondiert mit der Größe des in der Abbildung vorgenommenen Kreises. Im blau gemusterten Kreis findet sich die Konzernebene mit Akteuren wie dem Gesamtbetriebsausschuss wieder. Außerhalb dieses Kreises sind regionale und überregionale Akteure und Institutionen abgebildet.

Die Projektbeteiligten hatten sich zum großen Teil den Erwartungen entsprechend entwickelt. Jedoch war zu beobachten, dass insbesondere hinsichtlich der Intensität des jeweiligen Einflusses die Realität sich anders dargestellt hat. So ist rückblickend festzuhalten, dass diese Analyse regelmäßig im Rahmen derartiger Projekte zu überprüfen ist. Dies sollte in formalisierter Form (Anwendung von Tools, s. Handbuch) im Rahmen von Controllingprozessen verankert werden.

 

4.4 Projektstruktur

Das Projekt hat sich zu Beginn folgende Projektstruktur gegeben:

 

 

Abbildung 15
Ursprüngliche Projektstruktur

 

Es entwickelten sich Diskussionen, welche Struktur vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Fraktionen organisiert werden sollte. Dabei stellte sich schnell heraus, dass das bestehende Misstrauen zwischen den Fraktionen nur begrenzt Schnittstellen zwischen den Fraktionen erlaubte. Alle drei Fraktionen bestanden auf eigene Räume und wollten sich prozesshaft einer weiteren Zusammenarbeit nähern.

Deswegen stellte sich die gelebte Projektstruktur etwas anders dar, als in Abbildung 15 beschrieben, da die fraktionsübergreifende Lenkungsgruppe nur wenig involviert war. Begründet ist dies in dem geringen Interesse der beiden kleineren Fraktionen im Betriebsrat. Dort gab es vorrangig das Interesse, den Umgang mit der IG Metall-Fraktion zu verändern. Eine Weiterentwicklung der internen Struktur und Arbeit innerhalb der GEM und CGM wurde durch deren Vertreter abgelehnt.

Die IG Metall-Fraktion hatte als projektinitiierende Fraktion eine Struktur entwickelt, die die bisherigen Strukturen aufnahm, um keine unnötigen Parallelstrukturen entstehen zu lassen (siehe Abbildung 16). So sollte das in Grundsatzfragen richtungsweisende Lenkungsteam mit dem geschäftsführenden Fraktionsvorstand identisch sein. Neu ins Leben gerufen wurden das Projektteam und das daraus hervor gegangene Kernteam, das für alle nicht-Grundsatzfragen zuständig war. Die Zusammensetzung des Projektteams erfolgte auf Basis der Fabrikstruktur, so dass sich die einzelnen „Bereiche“ dort wiederfanden. Das Kernteam bestand aus fünf Mitgliedern: dem Vorsitzenden der IG Metall-Fraktion, der Leiterin des Vertrauenskörpers, einem Betriebsausschussmitglied aus einem Fertigungsbereich sowie dem Projektleiter und der externen Begleitung. Dort fanden wichtige Reflexionsprozesse statt, die nur in kleineren Gruppen durchgeführt werden können.

Abbildung 16
Faktische Struktur

 

Die Projektstruktur erlaubte ein in der Größe und damit auch in der Qualität abgestuftes Arbeiten. So konnte in kleinen Kreisen gut vorbereitet werden, der Informationsfluss zwischen dem Kernteam und der externen Projektleitung verlief ohne großen Aufwand, so dass auf diesem Wege eine ständige Kommunikation erfolgen konnte.

Das Projektteam ermöglichte eine gute Verbreitung in die gesamte Fraktion, während das Lenkungsteam nur zu grundlegenden Fragen zusammenkommen brauchte.

Die Projektleitung hatten Dr. Klaus-Stephan Otto, Dr. Otto Training & Consulting, sowie Ralf Behrens, Fachreferent des Betriebsrates, gemeinsam durchgeführt. Mit der Verankerung der Projektleitung gab es eine enge Anbindung des Projektes an die Betriebsratsspitze.

Die klare Strukturierung in Lenkungs-, Arbeits- und Beteiligungsebene trug dazu bei, die Komplexität des Projektes gut reflektieren und steuern zu können. Mit zunehmender Dauer und Intensität des Projektes zeigte sich, dass diese Abstufung eine gute Balance aus Reflexion, Vorbereitung, Abstimmung und Umsetzung bot. Die enge Verbindung der externen und internen Projektleitung sowie die dadurch bedingte enge Anbindung an die zentral eingesetzten Betriebsräte, sorgte für die notwendige Stabilität, um das Projekt auch erfolgreich durch Krisenzeiten zu führen.

Der Beirat hat das Projekt zu drei Zeitpunkten begleitet. Von ihm sind wichtige Impulse von anderen Betriebsräten und Wissenschaftlern gekommen. So ist insbesondere die Diskussion um die Ausschussstruktur mit Hilfe des Beirates vorangetrieben worden.

Aus den Erfahrungen im Projekt lassen sich einige Leitsätze für komplexe Projekte in anderen Betriebsräten ableiten. Diese werden im Übersichtkasten auf der Folgeseite dargestellt.

 

Leitsätze für komplexe Projekte im Betriebsrat

-       Prozessoffenes Arbeiten braucht Struktur (Ziele, Organisation, Zeitpläne, regelmäßige Reflexionstermine)

-       Je komplexer das Projekt, umso klarer muss die Struktur sein

-       Klare Strukturierung in Lenkungs-, Arbeits- und Beteiligungsebene

-       Bei größeren Projektteams einen Kern zur Strukturierung, Vor- und Nachbereitung bilden

-       Parallelstrukturen vermeiden, vorhandene Strukturen sinnvoll nutzen

-       Die Projektstruktur muss an veränderte Bedingungen angepasst werden

-       Sich Raum/Zeit nehmen für unterschiedliche Bereiche: Vor- und Nachbereitung, Beziehungsaufbau, Konfliktauseinandersetzung, Reflexionen.

-       Krisen gehören zu jedem guten Projekt. Sie sind nicht zu tabuisieren, sondern konstruktiv auszutragen, um dadurch das Projekt weiter zu entwickeln.

-       Interne Projektleitung braucht gute Anbindung an interne Organisation

-       Bei externer Begleitung starkes Tandem gewährleisten zwischen interner und externer Projektleitung, Zusammenarbeit reflektieren und weiterentwickeln

 


5.      Projektphasen mit Schwerpunktthemen und Meilensteinen

 

Der Vorteil dieses Projektes war die lange Laufzeit, die durch die Finanzierung der Hans-Böckler-Stiftung ermöglicht wurde. Dadurch war es möglich, eine sehr komplexe Projektarbeit durchzuführen und längerfristige Prozesse anzuschieben und sie über einen längeren Zeitraum zu beobachten sowie zu gestalten. Im Folgenden wollen wir einen Kurzüberblick über den Ablauf des Projektes in seinen verschiedenen Themen und mit seinen unterschiedlichen Phasen geben.

 

Inhaltliche Meilensteine

Ø  Das Erklärungsmodell (siehe Kapitel 3) gab dem Projekt den roten Faden und den theoretischen Hintergrund für die einzelnen Projektelemente.

Ø  Ein Zeitplan hat eine verlässliche Struktur geschaffen, die insbesondere für die Bereichsarbeit und für eine bessere Planbarkeit der eigenen Arbeit wichtig ist.

Ø  Die Einführung von Handys für Betriebsräte hat die Erreichbarkeit deutlich verbessert.

Ø  Die Strategieentwicklung in Verbindung mit dem wichtigen Werkssymposium mit dem VW-Vorstand war ein langer Prozess mit einem bedeutsamen Höhepunkt.

Ø  Die AG „Bereiche“ hat Dauerkonflikte um Ressourcen entschärft/beigelegt.

Ø  Als Voraussetzung für die Nachhaltigkeit der Projektumsetzung wurden Kennzahlen und Erfolgskriterien festgelegt und erhoben.

Ø  Projektarbeit bzw. Arbeitsgruppen wurden als Vorläufer einer Strukturdiskussion durchgeführt.

Ø  „Führung“ im Betriebsrat wurde als Thema formuliert, enttabuisiert und dadurch gestaltbar gemacht.

 

Projektvorphase

Bedarf erfassen - Akzeptanz finden - Finanzierung sichern: 2005 - März 2007

Projekte starten in der Regel nicht mit dem „offiziellen“ Projektbeginn, sondern mit einer Vorphase. Bei diesem Projekt startete die Vorphase mit Interviews und einem Bericht vor der IGM-Fraktion im Frühjahr 2005. Hier sollte geprüft werden, ob bei den Betriebsräten eine Akzeptanz für die externen Berater vorhanden war, aber auch eine Voreinigung auf die Inhalte eines möglichen Projektes und Fragen der Finanzierung erzielt werden. Es zeichnete sich dann der Weg der Finanzierung über die Hans-Böckler-Stiftung ab und es wurde ein ausführlicher Projektantrag entwickelt, der im Juli 2006 gestellt wurde. Nach der Genehmigung durch die Gremien startete das Projekt am 01.04.2007.

 

 

 

 

1. Phase

Analyse - Strukturaufbau - Kartierung: April - Oktober 2007

In der ersten Phase wurden umfangreiche Befragungen zur Arbeitsbelastung der Betriebsräte und zur Sitzungsgestaltung durchgeführt. Gleichzeitig wurde die Projektstruktur mit Projektleitung, Projektteam mit Kern und der Steuerungsgruppe aufgebaut. Es fanden umfassende Workshops zur Kartierung der Betriebsratsarbeit statt, an deren Ende eine detaillierte Dokumentation der Prozesse im Betriebsrat vorlag. Es wurde darauf geachtet, Verbesserungen, die offensichtlich notwendig waren, sofort umzusetzen, so genannte „Quick Wins“, um dadurch das Vertrauen in die Projekteffektivität zu erhöhen. So wurden beispielsweise für alle Betriebsräte Handys angeschafft und damit die Erreichbarkeit schlagartig erhöht. Diese Phase endete mit der ersten Klausur der Fraktion, wo diese schnellen Ergebnisse vorgestellt wurden. Dort wurde auf der Grundlage der Befragungsergebnisse eine neue Sitzungsstruktur verabschiedet, die sich bis heute bewährt hat. Außerdem wurden aus der Prozessanalyse jene Prozesse herausgearbeitet, bei denen der stärkste Unterschied zwischen der Bedeutung des Prozesses für die Arbeit und der eingeschätzten derzeitigen Qualität der Arbeit vorlag. Das waren die folgenden Prozesse:

- Personalentwicklung der Betriebsräte

- Fraktionssitzungen durchführen

- Organisation der Arbeit in den Bereichen

- Ohr an der Mannschaft haben

- Arbeitszeit regeln

Es wurden Maßnahmen zur Verbesserung entwickelt, verabschiedet und umgesetzt.

 

2. Phase

Arbeit vor Ort - AG „Bildung“ - Teamentwicklung: Oktober 2007 - März 2008

Auf der Basis dieser gemeinsamen Einschätzung wurden auf der ersten Fraktionsklausur zwei Arbeitsgruppen gebildet, die in den nächsten Monaten an der Optimierung der Arbeit vor Ort in den Bereichen und an der internen Qualifizierung der Betriebsräte arbeiteten.

Die Teamentwicklungen für die vier Bereichsteams Rohbau, Lack, Montagen 1 und Montagen 2 wurden durchgeführt. Es fanden Begehungen und Workshops mit der externen Begleitung in den Bereichen statt. Hintergrund war die Erkenntnis, dass das Projekt nicht erfolgreich sein konnte, wenn nicht ein Schwerpunkt der Arbeit auf der konkreten Unterstützung der Betriebsräte vor Ort läge. Ein Workshop beschäftigte sich mit der Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit der einzelnen Betriebsräte (siehe Kapitel 6.4 und Handbuch).

 

3. Phase

Strategiearbeit - Qualifizierung - Konfliktmoderation: April – Oktober 2008

Nach der Arbeit in den Bereichen wurde daraufhin die systematische Strategieentwicklung für den gesamten Betriebsrat initiiert. Diese wurde zentral vorbereitet und dabei auch die Strategieaktivitäten des GBR einbezogen. Im Sommer wurden die Bereiche in den Strategieprozess integriert.

Außerdem wurde eine Konfliktmoderation zwischen den Fraktionen im Betriebsrat - der IG Metall, den christlichen Gewerkschaftern CGM und der GEM - durch die externe Begleitung begonnen.

Die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse wurden auf einer Schulung im August 2008 an die Betriebsräte weitergegeben. Hier ging es um die persönliche Kompetenzentwicklung bezüglich praktischer Fähigkeiten wie Gesprächsführung, Kommunikation, Sitzungsleitung, Visualisierung und Selbstmanagement.

4. Phase

Gender - Demografie - Strukturentwicklung: Oktober 2008 bis Juni 2009

Auf der Fraktionsklausur im Oktober 2008 wurden die Ausschüsse mit ihren Themen in die Strategiearbeit integriert. Es wurde außerdem eine Arbeitsgruppe zum Thema Demografie gebildet. Es verstärkte sich jetzt auch wieder die Bereitschaft, an das Thema Strukturweiterentwicklung und Überprüfung der Ausschussstrukturen heranzugehen. Unter dem Motto „Zeitfresser“ wurde das um die Leitung erweiterte Projektteam beauftragt, ineffiziente Arbeitsabläufe zu identifizieren. Vor diesem Hintergrund begann schließlich eine intensive Diskussion zur Struktur des Betriebsrates.

Anfang 2009 gab es eine Krise im Projekt. Es war unklar, ob das Thema „Struktur“ wirklich angegangen werden sollte, oder ob dies nicht wegen des starken Widerstandes zu gefährlich wäre. Frust machte sich breit. Dann aber bildete sich eine Mehrheit, die sich für die Weiterbearbeitung einsetzte. Im Frühjahr beschloss die Fraktion das Thema auf einer Klausur im Herbst 2009 weiter zu bearbeiten. Die Identifizierung von „Zeitfressern“ hat also wieder Energie in den Prozess gebracht.

Ein erster Workshop „Gender“ fand im Mai 2008 statt. Im Januar 2009 wurde ein zweiter Workshop dazu durchgeführt.

Die Strategiearbeit wurde abgerundet durch die Verabschiedung von Kennzahlen und Erfolgskriterien im Juni 2009 (ØHB Kap. 2.2 Beispielvorlage: Kennzahlen und Erfolgskriterien im Betriebsrat). Die Ergebnisse der Strategiearbeit waren hilfreich für das Auftreten des Betriebsrates auf dem Werkssymposion mit dem VW-Vorstand.

 

5. Phase

Strukturdebatte - Nachhaltigkeit - Projektabschluss: Juni - Dezember 2009

Im August 2009 führte das Projektteam seinen Abschlussworkshop durch und legte fest, wie die Projektergebnisse langfristig gesichert werden können. Auf der Betriebsrätetagung im September 2009 wurden die Projektergebnisse anderen Betriebsräten vorgestellt. In der Vorbereitung hatten sich die zuvor erwähnten vier Hauptaspekte der Projektarbeit herauskristallisiert:

Ø  Strategiearbeit,

Ø  Erfolgreich verändern – neue Strukturen,

Ø  Führung/Personalentwicklung/Qualifizierung und

Ø  Kommunikation des Betriebsrates.

Die Präsentation führte zu lebhaften Diskussionen und vielen positiven Rück­meldungen. Im November 2009 fand dann eine sehr kontroverse Klausur der Fraktion statt. Hier wurden neue Strukturmodelle erarbeitet (siehe Kapitel 6.2).

Im Frühjahr 2010 soll in dem Zeitfenster zwischen Betriebsrats-Wahl und Konstituierung des neuen Betriebsrates eine Entscheidung für den neuen Betriebsrat vorbereitet werden. Zum Jahresende wurden Projektbericht und Handbuch erstellt.


6       Bearbeitung der Projektinhalte

[ØHB Übersichtsmodell: Einsatzgebiet der 4-Felder]

 

6.1 Strategiearbeit des Betriebsrates

[Ø HB Kap. 2: Strategie]

Strategiearbeit

Ausgangs­situation / Probleme/ Stärken

 

 

● Strategisches Denken präsent à Beispiel Coupé

 

 

● Gewisse Systematik vorhanden, z.B. Zwischenbilanz

 

 

● Keine Strategiearbeit in den Bereichen

 

 

● Fehlende Transparenz bei Strategieentwicklung

 

 

● Strategie oftmals vom Alltag überholt

 

 

● Verlust von Systematik (Reaktives Handeln) innerhalb der Wahlperiode

 

 

● Nachhaltigkeitsdefizite

 

 

● Keine Kennzahlen vorhanden

 

 

 

 

Ziele

 

 

Aus Projektantrag:

● Kartierung der Betriebsratsarbeit mit Erstellung eines Überblicks über die Arbeitsfelder sowie einer Sammlung sinnvoller übertragbarer Kennzahlen und Erfolgskriterien

 

 

● Durchführung und Evaluation eines Strategieprozesses auf der Basis eines Kennzahlensystems

 

 

Im Projekt:

● Strategie aktiv und nachhaltig gestalten

 

 

● Transparenz über Strategie herstellen

 

 

● Einbindung in GBR-Strategie

 

 

 

 

Zielerreichung

 

 

Strategieprozess erfolgt: Integration der verschiedenen Ebenen > GBA > Werkstrategie > Bereiche /Fachausschüsse  

 

 

Kennzahlen und Erfolgskriterien festgelegt, z.B. : > Rotation Bereichsbetriebsräte  > Moderationsqualifizierung  > Anzahl Infoveranstaltungen für VLs > Coaching für Betriebsräte

● Kartierung der Betriebsratsprozesse erfolgt

 

 

● Strategiedarstellung Mind Map

 

 

 

 

 

Weitere Ergebnisse

 

 

● Ebene Bereiche und  Ausschüsse systematisch einbezogen

 

 

Ablaufplan für Wahlperiode erstellt: > kurzfristig ein Jahr   > mittelfristig Ende der Wahlperiode 

 

 

● Strategiepunkte auch langfristig (ca. 10 Jahre) erarbeitet

 

 

 

 

 

 

 

Wichtig für die Zukunft

 

 

● Jahresplanung Prozentfestlegung und Überprüfung Strategie

 

 

● Monitoringprozess Kennzahlen

 

 

● Nach der Betriebsratswahl Festlegung neuer Kennzahlen und Erfolgskriterien

 

 

 

 

Ausgangssituation, Stärken und Probleme

Betriebsratsarbeit unterliegt immer der Gefahr, in den Tagesaufgaben unterzugehen. Ein im Vergleich zu den Führungskräften relativ kleines Gremium muss sich mit der Vielfalt der Aufgaben und Handlungsfelder des Betriebes beschäftigen. Hinzu kommt, dass die Betriebsratsmitglieder in der Regel nicht zu strategischer Arbeit ausgebildet worden sind. Proaktives Arbeiten des Betriebsrates ist aber nur möglich, wenn auch der Betriebsrat eine langfristige Perspektive für seine Arbeit hat, wenn er sich Zeit nimmt in der Tagesarbeit inne zu halten und sich mit einer langfristigen Sichtweise beschäftigt. Deswegen lag ein Schwerpunkt der Arbeit im Projekt auf der Verbesserung der Strategiearbeit im Betriebsrat.

Ein gutes strategisches Arbeiten bedeutet das Festlegen eines gemeinsam getragenen Zielkorridors, der eine Richtung und Orientierung für die zukünftige Entwicklung vorgibt. Strategisches Arbeiten bedeutet aus Sicht der Projektleitung jedoch nicht das Festlegen unumstößlicher Zielvorgaben und Maßnahmen, die den Blick einschränken können. Dieser traditionelle Ansatz birgt die Gefahr, dass mögliche zusätzliche Chancen aus dem Blick geraten und auf Veränderungen nicht angemessen reagiert werden kann – andere Ziele gehen verloren. Die aus der Strategie abgeleitete detailliertere Zielformulierung ist für die Umsetzung der strategischen Ausrichtung dennoch wichtig, geschieht aber als zweiter Schritt im Prozess. Abbildung 17 verdeutlicht den Unterschied zwischen dem traditionellen und dem evolutionären Vorgehen bei der Strategieentwicklung.

 

Abbildung 17
Festlegung eines Ziels vs. Zielkorridor

 

Es war bereits vor Projektbeginn eine gewisse Systematik im Bereich Strategie vorhanden, z.B. durch die regelmäßige Ausarbeitung einer Zwischenbilanz der Betriebsratsarbeit in der Mitte der Wahlperiode. Jedoch wurde insbesondere in stressigen Zeiten die Systematik aufgegeben und reaktives Handeln dominierte. Auch vom Alltag wurde die Strategiearbeit oftmals verdrängt. Es gab auch keine systematische und visualisierte Strategiearbeit in den Bereichen und in den Ausschüssen. Es bestand keine Transparenz der Prozesse und Aufgaben­uordnungen. Kennzahlen wurden nicht erhoben. Dadurch fiel es dem Betriebsrat schwer, die langfristige Umsetzung seiner Arbeit zu überprüfen.

Dass strategisches Vorgehen aber gerade auch im Betriebsrat für den langfristigen Erfolg wichtig ist, zeigte sich am Beispiel des Passat Coupé. Der Betriebsrat erkannte frühzeitig, dass die bisher produzierten Produkte für eine langfristige Auslastung des Werkes nicht ausreichen würden und dadurch auch die Beschäftigung nicht gesichert wäre. Aus diesem Grund wurde erfolgreich versucht, das neu entwickelte Passat Coupé für die Produktion im Werk Emden zu gewinnen. Durch den Bau dieses Fahrzeuges in Emden konnte ein wesentlicher Beitrag zum Erhalt der Arbeitsplätze geleistet werden.

 

Umsetzung und Ergebnisse

Die Strategiearbeit erwies sich als eine sehr komplexe Fragestellung. Es sollte nicht eine Einzelperson oder eine kleine Gruppe die Strategie erarbeiten, sondern das gesamte Gremium sollte einbezogen werden. Dadurch erstreckte sich der Prozess über einige Monate. Die Komplexität des realen Prozesses ist gut in Abbildung 20 sichtbar. Man sieht die verschiedenen Ebenen des Prozesses (Konzern, Werk, Betriebsrat, Fraktion) und die verschiedenen Prozessschritte mit ihren vielfältigen Überarbeitungsschleifen. Trotz zahlreicher anderer Aufgaben, nahm sich das Gremium Zeit für diese Arbeit. Erstmals wurden die Bereiche und die Ausschüsse in die Strategieentwicklung eingebunden. Da dies den Betriebsräten nicht leicht fiel, erfolgte diese Einbeziehung erstens im Rahmen des Qualifizierungs­workshops für die Bereiche und zweitens im Rahmen der Herbstklausur für die Ausschüsse. Diese wurden unter externer Anleitung durchgeführt und es erfolgte direktes Feedback sowie eine Weiterentwicklung der Arbeitsergebnisse. Außerdem wurde auch mit ungewöhnlichen und „begreifbaren“ Methoden gearbeitet. So wurde auf einer Klausur die bisherige Entwicklung der Betriebsratsarbeit dreidimensional in Sandkästen dargestellt (siehe Abbildung 18).

Abbildung 18
Durchführung der „Sandkasten-Übung“

Bei der Darstellung von Entwicklungen in Sandkästen können verschiedene Entwicklungen (zeitliche, emotionale, strukturelle) haptisch erfahrbar gemacht werden. Im Sandkasten kann mit Höhen und Tiefen und mit vorgefertigten Symbolen und Gegenständen die Entwicklung gemeinsam geformt und dargestellt werden. Aus einer anschließenden Diskussion über die Entwicklungslinie lassen sich nächste Schritte und Vorgehensweisen ableiten. Durch diese Übung werden oft Ergebnisse erzielt, die mit traditionellen Methoden nicht erreicht werden, da sie alle Gruppenteilnehmer aktiv einbezieht und verbales, visuelles und haptisches Arbeiten kombiniert. Daraus abgeleitet wurde dann in einem zweiten Schritt die zukünftige Entwicklung im Sand dargestellt und es entwickelten sich neue, weiterführende Ideen.

Durch diesen komplexen Prozess ist die Strategie jetzt sehr viel besser im Gremium verankert und wird von allen unterstützt. Es wurde eine Reihe von inhaltlich wichtigen Punkten in die Strategie integriert. So hat der Betriebsrat schon länger das Thema grüne Fabrik aktiv aufgegriffen und immer wieder die Werkleitung an ihre Verantwortung bei diesem Thema erinnert, aber auch eigene Aktivitäten wie die Solargenossenschaft durchgeführt. Inzwischen hat auch das Werksmanagement dieses Ziel übernommen. Auch übergreifende Themen wie Demografie oder die Forderung nach langfristigen Investitionen (neue Lackiererei) wurden integriert.

Es zeigte sich, wie wichtig es ist, dass die Strategie visualisiert wird, damit sie für alle eingängiger ist. Hier wurde mit dem Mittel der Mind Map gearbeitet, die auch schon vorher im Gremium genutzt wurde (siehe Abbildung 19). Außerdem wurden visualisierte Jahresplanungen erstellt (siehe Abbildung 12).

 

 


Abbildung 19
Handlungsfelder der strategischen Arbeit des Betriebsrates VW Emden in Form einer Mind Map


GBR-Strategie

 

Konzern

 

 

 

Werk

 

 

 

 

Betriebsrat

 

 

 

 

 

 

 

 

Fraktion

 

Strategie 2018

 

Abbildung 20
Komplexer Strategieentwicklungsprozess im Rahmen des Projektes für den Betriebsrat in Emden

 

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Der Erfolg dieser Arbeit zeigte sich beim Standortsymposion, einem wichtigen Instrument der betrieblichen Mitbestimmung bei VW. Hier wird mit dem Vorstand, der Werkleitung und dem Betriebsrat die langfristige Planung des Werkes besprochen. Durch die Strategiearbeit war der Betriebsrat auf diese Diskussion bestens vorbereitet.

Nach der Erstellung der Strategie, wurden die wichtigsten Punkte über Kennzahlen und Erfolgskriterien überprüfbar und messbar gemacht [ØHB Kap. 2.2 Übersichtsmodell: Der Weg zu Kennzahlen im Betriebsrat]. Dieses Blatt wird jetzt regelmäßig hinsichtlich des Standes der Umsetzung überprüft. Dabei war es nicht wichtig, alle Inhalte über Kennzahlen zu messen, sondern sich auf die wichtigsten zu konzentrieren. Dies war eine Lehre aus dem SPAs-Projekt der IG Metall, wo sich gezeigt hatte, dass eine zu hohe Komplexität der Kennzahlen in der Tagesarbeit nicht mehr handhabbar und steuerbar ist.

 

Übertragbarkeit auf andere Betriebsratsgremien

Es war nicht immer einfach, das Gremium für diese Arbeit zu gewinnen und „am Ball“ zu halten. Die Erkenntnis, wie wichtig in der Vergangenheit das strategische Arbeiten am Beispiel des „Coupés“ war, war hier hilfreich. Uns erscheint es wichtig, Strategiearbeit so durchzuführen, dass sie Spaß macht. Betriebsräte haben ein Interesse an neuen Erkenntnissen und sie wollen „ihr“ Unternehmen durchdringen. Richtig durchgeführte Strategiearbeit bringt „Aha-Erlebnisse“, die motivierend wirken.

Auf der Basis der geleisteten Arbeit ist ein Prozessplan für eine Strategieentwicklung im Betriebsrat erstellt worden, der im Handbuch dokumentiert ist und auch in anderen Betriebsräten angewendet werden kann.
[ØHB Kap.2.2 Übersichtsmodell, Prozess zur Strategieentwicklung im Betriebsrat.]

Es zeigte sich, dass der Prozess doch sehr komplex war und die externe Moderation und Anleitung als wichtig erachtet wurde. Langfristig sind zu diesem Punkt verschiedene Entwicklungen denkbar: Der Prozess wird vereinfacht und durch die Wiederholung internalisiert, so dass er alleine durchgeführt werden kann. Es ist aber auch denkbar, dass der Betriebsrat für eine so wichtige Aufgabe auch weiterhin externe Unterstützung einholt. Auf Managementebene ist dies eine typische Vorgehensweise. Gerade bei der erstmaligen Durchführung ist Unterstützung sinnvoll. Strategieentwicklung sollte darüber hinaus aber auch in die gewerk­schaftlichen Betriebsräteschulungen integriert werden.

 

Wichtig für die Zukunft, offene Fragen, Nachhaltigkeit

Das Projektteam hat beschlossen, die Strategiearbeit in die Teamentwicklungen der Bereiche und des Betriebsausschusses zu integrieren. Dadurch bekommen die Bereiche Unterstützung bei der Ausarbeitung. Gleichzeitig werden die Teamentwicklungen durch die inhaltliche Arbeit „geerdet“, so dass Beziehungsarbeit und inhaltliche Arbeit miteinander verknüpft werden.

In Emden wird es jetzt darauf ankommen, durch regelmäßige Anwendung das Instrument „Strategieentwicklung“ zu verstetigen. Hier ist der neue Betriebsrat gefordert. Dabei ist zu beachten, dass es eine jährliche Jahresplanung geben muss. Der komplexe Strategieprozess unter Einbeziehung der Bereiche und Ausschüsse muss aber nicht jährlich durchgeführt werden. Hier reicht ein zwei bis dreijähriger Abstand, soweit nicht aktuelle Entwicklungen die Arbeit an der Strategie erforderlich machen


6.2 Erfolgreich verändern – neue Strukturen

[ØHB Kap. 3: Veränderung]


Ausgangssituation, Stärken und Probleme

Eine der großen Herausforderungen in der modernen Betriebsratsarbeit ist der Umgang mit steigender Komplexität und den schnellen Veränderungen, die im Unternehmen passieren. In die Projektlaufzeit fiel die große Wirtschaftskrise, die zu einer erheblichen Abnahme der Stückzahlen im Werk und zu massiven Schwankungen des Absatzes führte. In dieser Situation muss ein Betriebsrat sehr schnell reagieren und er muss sich fragen lassen, ob seine Strukturen, die oft viele Jahre alt sind, das Treffen von schnellen Entscheidungen ausreichend unterstützen. Gerade die Ausschussarbeit bindet Zeit und Kräfte, die der Arbeit vor Ort verloren gehen. Außerdem sind viele Einzelfragen, die die Arbeit vor Ort betreffen, für die Lösung auf der zentralen Ebene zu vielfältig. Das Spannungsfeld des Betriebsrates wird zunehmend komplexer: Vertretung der Interessen der Belegschaft, der Region und der Gewerkschaft und Kommunikation mit Führungskräften und Entscheidungsträgern im Werk, aber auch im Konzern.

Damit der Betriebsrat in diesem Spannungsfeld effektiv arbeiten kann, muss er bereit und fähig sein, sich einem wandelnden Umfeld anzupassen. Im Betriebsrat VW Emden herrschten vor Projektbeginn zum Teil inflexible und starre Strukturen. Themen wurden in Ausschüssen bearbeitet, Projektarbeit oder Arbeitsgruppen (im BetrVG nicht vorgesehen) wurden nicht systematisch eingesetzt. Die Strukturen laut BetrVG, bei denen alle Entscheidungen im Plenum von 37 Betriebsräten getroffen werden müssen, widersprechen allen Erkenntnissen der Teamarbeit. Kein Unternehmen ist vergleichbar organisiert (dies ist vor allem ein Problem von großen Betriebsräten). Die Verständigung innerhalb des Betriebsrates ist sehr zeitaufwendig. Fragen müssen oft in mehreren Ausschüssen gleichzeitig behandelt werden. KollegInnen haben mit ihren Anliegen mehrere Ansprechpartner, bevor eine Lösung in Sicht ist. Insgesamt herrschte trotz großen Engagements der Betriebsräte zu wenig Systematik.

Wissensmanagement wurde nicht ausreichend betrieben und verwendet. Moderne elektronische Kommunikation wie über Outlook wurde wenig genutzt, so dass keine Transparenz über die Terminsituation herrschte. Es gab keine Übersicht über die für die Arbeit wichtigen Dokumente und Betriebsvereinbarungen. Unterschiedliche Ablage in den Bereichen erschwerte die gemeinsame Arbeit.

 

Umsetzung und Ergebnisse

Vor dem Projektbeginn musste zunächst die Akzeptanz für einen Projektstart hinsichtlich der Finanzierung aber auch der Akzeptanz der Beteiligten geschaffen werden. In diesem Diskussionsprozess fängt der Veränderungsprozess schon an und wenn er gut gelaufen ist, hat sich bis zum Projektstart schon einiges getan. Dies war bei diesem Projekt der Fall.

Im Laufe des Projektes wurden viele Veränderungen eingeleitet und umgesetzt, aber gleichzeitig wurde auch deutlich, wie lange manche Veränderungen brauchen. Am Punkt der Sitzungsgestaltung und der Ausstattung und Arbeit in den Bereichen konnten verhältnismäßig schnell Veränderungen erzielt werden. Eine neue Sitzungsstruktur wurde eingeführt, die mehr Zeit für die Arbeit vor Ort gibt. Die Bereiche wurden materiell besser ausgestattet und ihre Arbeitsweise systematisierte sich. Einige Arbeitsprozesse wurden standardisiert, bei anderen wollten die Bereiche aber ihre individuelle Arbeitsweise beibehalten. Eine Analyse der genauen Arbeitszeiten für die einzelnen Aktivitäten in den Bereichen wurde nicht durchgeführt, da einige Betriebsratsmitglieder dies zu sehr als Kontrolle durch die zentrale Vertretung empfunden haben.

Am Thema Strukturveränderung geschah der Fortschritt sehr viel langsamer. Hier ging es darum, die Ausschussarbeit zu überprüfen und zu neuen Strukturen zu kommen. Eine Veränderung der Ausschussstruktur wurde und wird von einem Großteil der Betriebsratsmitglieder als notwendig angesehen. Über den Projektzeitraum zeigte sich, dass die derzeitige Arbeitsstruktur nicht gut geeignet ist, um die Anforderungen an den Betriebsrat von Seiten der Belegschaft und der Werksleitung zu erfüllen. Neben den KollegInnen, die oft mehrere Ansprechpartner haben, bis Ihre Anliegen behandelt werden, erwartet auch die Werkleitung rasche Entscheidungen, die in einem demokratischen Gremium aber Ihre Zeit brauchen. Der demokratische Prozess zeichnet den Betriebsrat aus und ist unabdinglich, nichtsdestotrotz muss der Betriebsrat in der Lage sein, bei drängenden Fragen zügig zu Entscheidungen zu kommen. Außerdem  sollte er durch seine Strukturen auch in der Lage sein, neu aufkommende Themen effektiv zu bearbeiten (Struktur zeitlich begrenzter Arbeitsgruppen)

Auch für die Arbeit innerhalb des Betriebsrates stellt die Strukturveränderung eine Chance dar: Diese liegt vor allem im Zusammenhang von Mitbestimmung und Verantwortung. Im Betriebsrat wird ein hoher Mitbestimmungsgrad gewünscht und umgesetzt, die Aufgabenverantwortung wird aber von manchen Betriebsräten nicht aktiv genug gesucht. Eine neue Struktur sollte es sich daher auch zum Ziel setzen, die Verantwortungsbereiche innerhalb des Gremiums zu verdeutlichen und die Verantwortung nicht nur auf wenigen Personen zu verteilen.

Obwohl die notwendige Strukturveränderung seit Projektbeginn und schon in der Vorphase thematisiert worden war, wurde es über lange Zeit im Projekt nicht aktiv angegangen. Zu groß war die Ungewissheit, was stattdessen kommen könnte. So mancher befürchtete, seinen Status als Ausschussvorsitzender oder ein als wichtig eingeschätzte Gebiet zu verlieren. Erst auf der Fraktionsklausur im Herbst 2008 wurde die Notwendigkeit wieder anerkannt und dann vom Projektteam unter Beteiligung der Betriebsratsleitung weiter bearbeitet.

Auf der zweitägigen Fraktionsklausur im November 2009 wurde das Thema intensiv diskutiert. Von der Projektleitung wurde vorgeschlagen, am Abend des ersten Tages mit Mitgliedern des Betriebsausschusses gemeinsam mit der externen und internen Projektleitung die Gruppenergebnisse aus der Strukturdiskussion zu sammeln und zusammenfassen, um am Folgetag der gesamten Fraktion einen Vorschlag zu unterbreiten, an welchen Punkten der Strukturveränderung gemeinsam weitergearbeitet werden soll. Dieser Prozess wurde allen Teilnehmern der Fraktionsklausur transparent dargestellt. Bei der Durchführung zeigte sich erneut, dass „Führung in Betriebsräten“ immer noch ein heikles Thema ist: Der Kreis selbst fühlte sich am Abend unwohl in seiner Rolle, da er befürchtete, von den anderen KollegInnen misstrauisch beäugt zu werden. Die Betriebsräte, die nicht am Kreis teilnahmen, waren besorgt, dass Entscheidungen in kleiner Runde getroffen würden und ihr Recht auf Mitentscheidung untergraben würde.

Dennoch wurden unterschiedliche Vorschläge erarbeitet. Sie sollen in der Zeit zwischen Betriebsratswahl im März 2010 und der Konstituierung des neuen Gremiums ca. acht Wochen später zu einer Beschlussvorlage für den neu gewählten Betriebsrat zusammengefasst werden. Die folgenden unterschiedlichen Vorschläge stehen zur Zeit der Berichterstellung im Raum:

Ø  Die bisherigen Ausschüsse könnten neu strukturiert und zum Teil zusammengelegt werden. Dabei sollten nicht nur die Ausschüsse selber neu strukturiert, sondern die Aufgaben analysiert und neu zusammengestellt werden. Außerdem könnte auch die Mitgliederstärke bei einzelnen Ausschüssen reduziert werden. Weniger Ausschüsse reduzieren den Arbeits- und Koordinierungsaufwand.

Ø  Die vielen Ausschüsse könnten zu drei größeren Ausschüssen mit den Oberbegriffen Mensch, Arbeit und Technik zusammengefasst werden, die dann wieder kleine Untergruppen oder Unterausschüsse bilden könnten. Durch die geringe Zahl würde Arbeitszeit gespart und der bisherige Koordinierungsaufwand zwischen den vielen Ausschüssen würde reduziert. Die drei Ausschüsse hätten mit einer Teilnehmerzahl zwischen 10 und 15 eine bessere Arbeitsgröße als das Gesamtgremium. Zudem wäre eine ganzheitlichere Herangehensweise von komplexen Aufgaben möglich.

Ø  Die Ausschüsse arbeiten heute auf der Ebene Werk-Gesamt. Es wäre aber auch denkbar die vier großen Bereiche des Werkes - Rohbau, Lack, Montagen 1 und Montagen 2 - in der Form von Ausschüssen nach dem BetrVG arbeiten zu lassen. Dadurch würde vor Ort ganzheitlicher gearbeitet und die Kollegen und Kolleginnen haben weniger und direktere Ansprechpartner.

Es ist aber auch denkbar, dass ein Vorschlag erarbeitet wird, der eine Mischung dieser Vorschläge oder eine Weiterentwicklung darstellt.

Auch wenn an diesem Punkt das eigentliche Projektziel „neue Struktur“ nicht erreicht worden ist, so ist doch die inhaltliche Debatte weit vorangekommen. Es wäre nicht sinnvoll gewesen, die Beschlussfassung zu beschleunigen. Es wurde deutlich, dass dieser Punkt noch immer hochemotionalisiert war (wer hat welche Entscheidungs­möglichkeiten und dadurch welche Macht?) und die Diskussion Zeit zur Reifung brauchte. Bei einer forcierten Beschlussfassung hätte dies auch dazu führen können, dass eine Mehrheit im Betriebsrat die Neustrukturierung abgelehnt hätte.

Eine ausführlich geführte Debatte im Betriebsrat sorgt dafür, dass der Boden für eine neue Lösung bereitet wird. Es kommt dann aber auch der Zeitpunkt, an dem entschieden werden sollte, auch wenn noch nicht alle den neuen Vorschlag unterstützen. Dies erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl.

Interessant war, dass die „Veränderungsenergie“ im Lauf des Projektes zwischen verschiedenen Promotoren wechselte. Mal war es stärker die Projektleitung, mal der Projektkern, mal die Betriebsratsvorsitzenden, mal eher junge Betriebsräte. Bei längeren Projekten ist es wichtig, einen solchen Wechsel aktiv in das Projekt einzubeziehen, um den Veränderungsprozess am Laufen zu halten. Es ist nachvollziehbar, dass die Einzelnen nach ihrem individuellen Nutzen in ihrer Arbeit fragen und davon auch die Unterstützung abhängig machen.

Es hat sich auch gezeigt, dass oft kleine Gruppen Veränderungen voran gebracht haben. Das Projekt „grüne Fabrik“ beispielsweise entstammte einer zunächst kleinen Personengruppe im Betriebsrat, die es sich zum Ziel setzte, regenerative Energien stärker für das Werk in Emden zu nutzen. Daraus entwickelte sich der Bau der größten Photovoltaik-Dachanlage Norddeutschlands durch eine Belegschaftsgenossenschaft und die Errichtung von Windkraftanlagen. Seit längerem gab es den Bezug von Fernwärme, durch dessen Bezug von 138.000 Megawattstunden der Erdgasverbrauch halbiert werden konnte. Das Werk Emden vermeidet dadurch jährlich CO2-Emissionen in Höhe von 35.000 Tonnen.

Ein Betriebsrat ist heute erfolgreich in der Interessenvertretung, wenn er sich auf wechselnde Umfeldbedingungen schnell einstellen kann. Deswegen ist eine gute Veränderungskompetenz Schlüsselkompetenz des Betriebsrates. Die vielen Aktivitäten im Projekt haben viele Möglichkeiten geboten, diese Veränderungskompetenz an Hand praktischer Beispiele weiterzuentwickeln. Hierzu wurden auch Qualifizierungsangebote durchgeführt.

Damit der Veränderungsprozess erfolgreich durchgeführt werden konnte, war aber auch eine klare Wertorientierung notwendig. Denn wer Werte wie Demokratie oder Beteiligung mit derartigen Prozessen verbindet, verfügt über die Kraft, derartige Prozesse mit ihren Höhen und Tiefen durchzuhalten. Dafür wurde sowohl auf den Klausuren aber auch in den Sitzungen des Projektteams ausreichend Raum gegeben.

Im Betriebsrat herrschte anfangs ein Leidensdruck zum Wandel, da aufgrund unstrukturierten Arbeitens das Fehlen von ausreichend Zeit für die Basisarbeit beklagt wurde. Die Teilhaber fühlten sich nicht als Treiber, sondern als Getriebene der Prozesse. Indem die Betriebsräte aktiv in den Veränderungsprozess einbezogen wurden, konnte die Eigenverantwortung gestärkt werden und die Arbeit effektiver organisiert werden. Die Verbindung von Eigenaktivität der einzelnen Betriebsräte bei gleichzeitiger Disziplin und Einordnung in den Gesamtprozess ist allerdings eine Herausforderung; auch hier war die externe Begleitung hilfreich.

Im Projektverlauf war zu beobachten, dass Arbeitsgruppen zu aktuellen Themen, die projektähnlich arbeiten, stark an Bedeutung gewonnen haben. Anfangs war es nicht einfach, anders als bei den schon lang existierenden Ausschüssen, Kontinuität in ihrer Arbeit herzustellen. Es stellte sich heraus, dass sie dann stark sind, wenn sie direkt dem Betriebsausschuss berichten und er auch eine gewisse Anleitung und Kontrolle übernimmt oder wenn durch ein starkes Interesse des Unternehmens ein gewisser Außendruck vorhanden ist.

 

Umsetzung Wissensmanagement
[ØHB Kap.3.3.4 Wissensmanagement]

Am Thema Wissensmanagement wurden einige Punkte umgesetzt. In den Bereichen wurde teilweise über Aktenpläne die Ablage neu organisiert (siehe Abbildung 21). Zentral sind alle Betriebsvereinbarungen und Protokolle eingescannt worden, so dass sie jetzt allen Betriebsräten zur Verfügung stehen. Die Outlookanwendung wurde intensiviert um dadurch mehr Termintransparenz zu erreichen. Es ist aber noch einiges in diesem Gebiet zu tun. So soll eine neue übersichtlichere Datenstruktur eingeführt werden und die Bereiche sollen alle gemeinsame Bereichsordner für ihre Bereichsdokumente einführen. Da die Informationen im Betriebsrat weiter zunehmen ist ein effektives Wissensmanagement eine zunehmend wichtige Voraussetzung für gute Betriebsratsarbeit.

Abbildung 21

 

Übertragbarkeit auf andere Betriebsratsgremien

In dem vorherigen Abschnitt sind eine Reihe von Punkten für die Veränderungs­bereitschaft in Betriebsräte-Gremien dargestellt worden. Wichtig für ein solches Projekt ist, dass es eine klare Führung gibt. Die Struktur im Betriebsrat entsprechend dem BetrVG unterstützt demokratische Diskussionen, sie macht aber Führung schwierig. Dies kann dazu führen, dass notwendige Entscheidungen zerredet werden. Umso wichtiger ist es, dass sich eine kompetente, informelle Führung herausbildet.
[ØHB Kap.4.1 Leitlinien Führungsarbeit im Betriebsrat]

In diesem Projekt sind bestimmte strukturelle Veränderungen eher von Betriebsräten unterstützt worden, die noch nicht so lange im Gremium waren. Betriebsräte sollten darauf achten, dass regelmäßig neue Mitglieder in das Gremium gewählt werden, um dadurch auch für neue Ideen offen zu bleiben. Dies ist in Zeiten alternder Belegschaften nicht immer leicht umzusetzen, trotzdem aber notwendig. Es sollte enttabuisiert werden, dass jemand den Betriebsrat verlassen kann, auch wenn er noch nicht in die Rente geht.

Veränderungskompetenz ist insgesamt für Betriebsratsgremien wichtig. Gemäß dem Erklärungsmodell, müssen sie heute sehr viel flexibler handeln und sich immer wieder verändern können.

 

Wichtig für die Zukunft, offene Fragen, Nachhaltigkeit

In Zukunft wird es wichtig sein, die erreichten Ergebnisse zu verstetigen und den Veränderungsprozess an bestimmten Themen weiterhin voranzuführen. Dies wird gelingen, wenn die Bearbeitung von Themen wie z.B. Gesundheit und Überlastung von Betriebsratsmitgliedern, Struktur und Führung und Vertrauen durch Veränderungstreiber weiter unterstützt werden. Das Projektteam hat eine Reihe von Maßnahmen festgelegt, die der Verstetigung der Veränderungsarbeit dienen. Dazu wurden mögliche „Stolpersteine“ benannt wie z.B. Bereichsegoismen, fehlende Einigkeit in der Führung oder ungenügende Ressourcen, die die Verstetigung behindern könnten. Es wurden Maßnahmen entwickelt, um sie zu umgehen. Es wurde festgelegt, welche Projektthemen auf jeden Fall auch nach Projektende weitergeführt werden sollen (siehe Kapitel 8.4).

Mit diesen noch im Projekt entwickelten klaren methodischen und inhaltlichen Vorgaben für die Zeit nach dem Projektende sind gute Voraussetzungen für die weitere Umsetzung der Projektergebnisse gegeben worden. Es wird aber erheblicher Anstrengungen bedürfen, damit das Erreichte nicht in der Tagesarbeit untergeht, sondern weiterentwickelt werden kann.


6.3 Führung, Personalentwicklung, Qualifizierung

[ØHB Kap. 4: Führung, Personalentwicklung, Qualifizierung]



Führung, Personalentwicklung, Qualifizierung

Arbeitsfelder

Personalentwicklung

Teamentwicklung

Systematische Bearbei-tung des Themas Gender

Ausgangssituation / Probleme / Stärken

keine systematische Personalent-wicklung im Betriebsrat

strategische Nachwuchsarbeit fehlt

keine systematische Qualifizierung

Karriereweg unklar BR / VL

Arbeitsdruck

psychische Belastung

vor allem fachl. Qualifizierung

Kungelei

systematische Personal­ent­wicklung im BetrVG nicht vorgesehen

Teamentwicklungen im Betriebsrat schon gelaufen

Frauenanteil im Betriebsrat höher als Prozentsatz im Werk (+)

Fachausschuss tagt unstetig

geringer Anteil an Frauen im Werk

geringe Sensibilisierung des Themas Gender

geringer Anteil an Frauen in Führungspositionen

Hoher Anteil von Frauen in gewerblicher Ausbildung

 

 

 

 

Ziele

Aus Projektantrag:

Systematisierung von personeller Zuordnung zu bestimmten Arbeits­aufgaben im Rahmen eines PE-Konzepts

Die einzelnen Betriebsratsmitglieder werden in die Lage versetzt, spezifische Anforderungen zu verarbeiten und Stärken weiterzuentwickeln

Auf Augenhöhe in Verhandlungen mit dem Management auftreten

Im Projekt:

Projektziele anpassen

Qualifizierungsmatrix

Akzeptanz für das Thema Führung

Gemeinsames Führungs­verständnis entwickeln

Qualifizierte Führungskräfte im Betriebsrat

Instrumente von PE einführen wie

„interne Förderung“

Aus Projektantrag:

verallgemeinernd untersuchen, mit welcher Form der TE und mit welchen Methoden eine stabilisierende Entwicklung erreicht werden kann

Im Projekt:

Akzeptanz für TE vergrößern

Zusammenarbeit in den Bereichen und in den Ausschüssen verbessern und stärken

Aus Projektantrag:

Entwicklung von Maßnahmen zur Berücksichtigung des Gender-Aspektes

Stärkung des Frauenanteils

bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und Väter

Im Projekt:

regelmäßige Arbeit des Fachausschusses

 

 

 

 

Zielerreichung

Qualifizierungsuntersuchung

Start Coaching + Kuren

Hemmschwelle gegenüber Gesund-heitsmaßnahme abgebaut

Qualifizierung Selbstmanagement

Arbeitsorganisation mit allen Bereichs Betriebsrats durchgeführt

BA-Mitglieder akzeptieren Führung

Führung in der Fraktion thematisiert

Teamentwicklung als regelmäßiges Instrument ist etabliert

Zusammenarbeit der Bereiche verbessert, u.a. durch BR-Rotation

Zusammenarbeit Bereiche-Zentrale verbessert

Neue Terminstruktur des Fachausschusses

Präsentation/Vortrag in Fraktion

Forderungskatalog und Themen erarbeitet

Familienservice Weser/Ems für Kinderbetreuung

Garantierte Freizeit für werdende Väter bei der Geburt

 

 

 

 

Aktionen / Maßnahmen

AG Qualifizierung gebildet

Abfrage Tätigkeitsbefragung

Qualifizierungsuntersuchung

Qualifizierungsmatrix in Arbeit

Entscheidungen über Qualifizier-ungen an Gremium gebunden

Führung im BA + Fraktion

Führungsqualifizierung für Betriebsräte

Coaching initiiert, erste Coaching-Aktivitäten

Qualifizierungsworkshop für Betriebsräte

Konkrete Maßnahmen für gestresste + "kranke" Betriebsräte, Diskussion in Gewerkschaft tragen

2 Teamentwicklungen pro Bereich durchgeführt und mit neuer Methode experimentiert

1 Teamentwicklung für BA durchgeführt

Teamentwicklung an Legislaturplan gekoppelt

Arbeitsfähigkeit des zuständigen Gremiums hergestellt

Arbeitsplan erstellt

2 WS durchgeführt

Vortrag Vertreterin IGM-Vorstand in der Fraktion

 

 

 

 

Wichtig für die Zukunft

Qualifizierungsmatrix vollenden und verabschieden

Coaching verbreiten und etablieren                                    Führungsseminar BA

Qualifizierung einzelner BA-Mitglieder zum Thema Führung

Akzeptanz des Themas Führung erhöhen

„Fehlende Führung“ aus BetrVG politisieren

Personalentwicklung etablieren

Betriebsräte als Karriere thematisieren

Teamentwicklung wird künftig mit der Strategieentwicklung der Betriebsräte aus den Hallen verbunden

Evaluierung zu Teamentwicklung schaffen

Weitere Durchführung von Workshops

Verbinden mit Thema Humanisierung der Arbeit

Teilzeit auf allen Ebenen

Frauen in Führungspositionen


Ausgangssituation/Stärken und Probleme

Betriebsratsarbeit, die den heutigen Anforderungen gerecht werden will, bedarf verschiedener Instrumente, die in dieser Form in der Betriebsratsarbeit nur eine untergeordnete oder sogar gar keine Rolle gespielt haben. Das Erklärungsmodell (siehe Kapitel 3) zeigt, dass sich Betriebratsgremien und ihre Mitglieder flexibel verhalten bzw. agieren müssen. Die Situation ist zu erfassen, die entsprechende Rolle ist einzunehmen, um erfolgreich zu sein bzw. das langfristige Ziel Standort- und Beschäftigungssicherung zu erreichen.

Dabei hat sich gezeigt, dass Führung auch im Betriebsrat unverzichtbar ist und deshalb als Thema gestaltet werden muss. Personalentwicklung dient der nachhaltigen Qualität der Betriebsratsarbeit und will die einzelnen Mitglieder des Betriebsrates stärken.

Die drei Felder Führung, Personalentwicklung und Qualifizierung haben in der gewerkschaftlichen Geschichte eine sehr unterschiedliche Bedeutung. Während Qualifizierung schon von Beginn an ein zentraler Baustein gewerkschaftlicher Arbeit war, sind die beiden anderen Themen neu bzw. noch kaum entwickelt und zum Teil auch noch gar nicht als gewerkschaftliches Feld akzeptiert. So finden sich im gewerkschaftlichen Bildungsangebot nur wenige Maßnahmen zum Thema Führung. Es scheint, als sei Führung im Bereich der Arbeitnehmervertretung gar nicht oder nur bedingt akzeptiert.

Teamentwicklungen sind bereits schon vor dem Projekt beim Betriebsrat VW Emden durchgeführt worden. Sie sind für den Projektverlauf als Begleitung für Veränderungsprozesse geplant gewesen, um mögliche Konflikte aufzufangen. Das Instrument Teamentwicklung wurde im Laufe des Projektes immer stärker eingebettet und ist damit in seiner herausragenden Stellung relativiert worden. Aus diesem Grunde ist die explizite Betrachtung des Themas zugunsten anderer Themen im Abschlussbericht zurückgestellt worden. Dennoch sind die Teamentwicklungen von enormer Bedeutung geblieben, die für die Beteiligten ein fester Bestandteil der Arbeit des Betriebsrates geworden ist.

 

Führung

Einen wichtigen Hintergrund bildet das Betriebsverfassungsgesetz, das ausdrücklich keine Hierarchie beschreibt. Anders als in der Organisation von Unternehmen gibt es keine klassische Weisungs- und Disziplinarkompetenz. Gemäß BetrVG gibt es Vorsitz und Stellvertretung plus geschäftsführenden Ausschuss (Betriebsausschuss) im Betriebsrat, allerdings sind diese nur mit einer „Richtungskompetenz“ ausstattet. Dennoch hat sich sehr oft Führung entwickelt, so auch in Emden. Und dies nicht nur bei den beiden Vorsitzenden, sondern über verschiedene Gremien hinaus: Jeder Bereich und jeder Ausschuss wurden immer geführt.

Das Thema Führung ist in gewerkschaftlichen Kreisen in den letzten Jahrzehnten weitgehend tabuisiert gewesen. In Betriebsräten gehen mit dem Thema Führung immer wieder andere Fragestellungen einher. Wie kann Führung mit demokratischen Prinzipien verbunden werden und wie wird dies sichergstellt? Wie wird mit der Nähe der Betriebsratsspitze zu der Geschäftsführung umgegangen? Gibt es „Klüngelei“? Wie kann demokratische Kontrolle ausgeübt werden, ohne dass das Gremium in Misstrauen erstickt?

Erst in der jüngeren Vergangenheit ging beispielsweise das Bildungsangebot der IG Metall auf das Thema Führung ein und bot – zwar vereinzelt – Seminare für Betriebsräte in diesen Zusammenhang an. Es scheint also, dass dieses Thema auch in gewerkschaftlichen Kreisen langsam „salonfähig“ wird und den Betriebsräten diesbezüglich Hilfestellung angeboten wird.

Die Struktur im Betriebsrat entspricht damit dem BetrVG und unterstützt demokratische Diskussionen, sie erzeugt aber ein Dilemma, weil keine Aussagen zum Thema Führung vorliegen und Führung dadurch erschwert wird. Dies kann dazu führen, dass notwendige Entscheidungen zerredet werden. Um effektiver zu werden, führte dies in der Vergangenheit in Betriebsräten oft dazu, dass sich mächtige, sehr autoritär herrschende Vorsitzende herausbildeten, meist verbunden mit Betriebsratsmitgliedern, die wenig selbstverantwortliches und selbständiges Handeln zeigten. Führung muss von den „Geführten“ auch akzeptiert werden. Dies war im Emder Betriebsrat eine große Herausforderung, da „jeder Betriebsrat auch ein kleiner König war“, wie es der Fraktionsvorsitzende der IG Metall in einer Fraktionsklausur öffentlich machte.

Zudem stellte sich die Frage, wie Führung im Vergleich zu Führung im Unternehmen bzw. Management durchzuführen ist. Welche Instrumente und Ressourcen stehen zur Verfügung? So hat ein Betriebsratsvorsitzender nicht die Sanktionsmittel wie eine betriebliche Führungskraft. Auch ist die Vergabe von Gehaltsvorteilen nicht mit der Situation auf der Unternehmensseite vergleichbar. Dennoch verfügt auch der Betriebsrat bzw. seine Vorsitzenden über Ressourcen. So kann möglicherweise Einfluss auf die Gehaltsentwicklung der KollegInnen genommen werden. Es bestehen Machtzugänge, die den Vorsitzenden Möglichkeiten eröffnen, Anreize oder Sanktionen einzusetzen.

 

Personalentwicklung

Personalentwicklung fand im Emder Betriebsrat als offenes und transparentes Instrument kaum statt. So waren Entwicklunswege wenig transparent. Wer welche Ausschüsse führte, war eher ein Aushandlungsprozess und weniger eine Planung, die auf Qualifikationen und Neigungen beruhte. Damit gab es auch keine Instrumente wie Entwicklungsgespräche oder Coaching. „Neue“ Betriebsräte wurden über die Bereiche und in der Regel aus dem Vertrauenskörper gewonnen. Dabei lagen keine gemeinsam definierten Entscheidungskriterien zugrunde und es wurden dem Vertrauenskörper gegenüber auch keine Ansprüche an Betriebsräte formuliert. Personalentwicklung als Instrument ist ähnlich wie das Thema Führung im Betrieb, aber auch in der gewerkschaftlichen Diskussion tabuisiert worden.

Personalentwicklung wurde stattdessen sehr oft über die Person des zuständigen Gewerkschaftssekretärs oder über den jeweiligen Bevollmächtigten durchgeführt, allerdings nicht wirklich systematisch und konsequent. Dennoch blieb es dabei, dass es kein transparentes Instrument der Personalarbeit des Betriebsrates war.

Hinzu kam, dass die Anforderung an die Person eines Betriebsrates weder im VW-Betriebsrat in Emden, noch in der Gewerkschaft umfassend Beachtung fand. Themen wie Überlastung, Stress, Konflikte sind wenig berücksichtigt worden, so dass es kein angemessenes Instrumentarium hierfür gab.

 

 

Qualifizierung

Schon seit Jahren wurden vielfältige Qualifizierungen durchgeführt. Einige Fachausschüsse hatten auch klare Ansprüche an ihre Mitglieder. So galten für Personalausschussmitglieder Seminare im Arbeitsrecht als notwendig, für den Entgeltausschuss waren tarifpolitische Seminare zu besuchen, zuletzt wurden sogar MTM-Ausbildungen quasi erwartet. Dennoch fehlte ein transparentes Verständnis, was Betriebsräte fachlich können mussten und welche überfachlichen Fähigkeiten und Kompetenzen sie mitbringen sollten. Eine Qualifizierung hinsichtlich persönlicher Stärken und Schwächen fand kaum statt.

 

Umsetzung und Ergebnisse

Führung

Zur Projektmitte wurde immer deutlicher, dass Führung als Thema eine zentrale Rolle bekommen würde. Denn es wurde zunehmend klarer, dass man nicht nicht führen kann. Es wird geführt, ob man will oder nicht. Diese Erkenntnis kam nicht von heute auf morgen, es entwickelte sich ein längerer Prozess, indem sich die Betriebsräte mit diesem Thema „anfreunden“ konnten. Nach einigen Monaten bekannten sich dann die Mitglieder des Betriebsausschusses zur eigenen Führungsrolle. Es wurde in einer Teamentwicklung des Betriebsausschusses gemeinsam festgestellt, dass alle Mitglieder nicht nur einen Bereich vertreten, sondern diesen auch in einer Führungsrolle repräsentieren. Darüber hinaus ordnen sie sich als Führungskraft eines Bereiches in eine betriebliche Gesamtperspektive ein. Dieser langwierige Weg zeigt, welche Barrieren durchbrochen werden mussten, um das Thema Führung aus der Tabuisierung herauszuholen und zu etablieren.

Diese Teamentwicklung hat in erheblichem Maß Spannung zwischen Betriebsratsspitze (in diesem Fall: Betriebsratsvorsitzender, sein Stellvertreter und der Vorsitzende der IG-Metall-Fraktion) und dem weiteren Betriebsausschuss abgebaut. Es wurde zum Beispiel der Spitze ausdrücklich das Vertrauen ausgesprochen so genannte „12-Augen-Gespräche“ (BR-Spitze plus drei Manager) führen zu können. Damit wurde ausdrücklich anerkannt, dass es besser sein kann, wenn nur ein ausgewählter Teil des Betriebsrates stellvertretend für das Gremium mit dem Management in Kontakt steht.

Auch wurde deutlich, dass die richtige Kommunikation eine erhebliche Rolle spielt. Einerseits ging es dabei um die richtige Information, aber ganz besonders auch um das Mitteilungsrecht der anderen Betriebsausschussmitglieder aus den Hallen. So wurde in der Folge die Tagesordnung für die turnusmäßigen Sitzungen verändert, um den Betriebsräten aus den Bereichen/Hallen einen gebührenden Platz zu bieten. Die Themen „vor Ort“ stehen nun ganz oben auf der Tagesordnung und drohen nun nicht mehr, aufgrund von Zeitdruck verdrängt zu werden. Ein wichtiger Punkt auch hinsichtlich der Wertschätzung der Arbeit vor Ort durch die Betriebsratsspitze.

Es wurde zudem festgestellt, dass ein gemeinsames Verständnis von Führung erarbeitet werden sollte. Dabei wurde deutlich, dass Führung im Betriebsrat ganz wesentlich Führung „im Team“ bedeutet. Das heißt einerseits abgeben zu können, andererseits aber auch, dass von vielen Betriebsräten Verantwortung übernommen werden muss.

Darüber hinaus ist zu klären inwieweit der gesamte Betriebsrat bzw. Fraktion beteiligt wird. Wann und in welchem Maße?

Bei der Wahl der geeigneten Vorgehensweise hinsichtlich Beteiligung und Führung, hilft folgendes 4-Stufenmodell der IG Metall:

Abbildung 22
Vier Beteiligungsstufen im Problemlösungsprozess

 

Außerdem wurde im Betriebsausschuss vereinbart, dass Führungsseminare der IG Metall besucht werden sollen. Das zeigt, dass Führung als komplexe Aufgabe begriffen wird. Für die neue Wahlperiode stehen diese Qualifizierungen auf dem Seminarplan. Grundlage soll ein Qualifizierungsprofil für Betriebsräte in Führungsposition sein. Dabei sind Aspekte wie fachliche, kommunikative, persönliche oder politisch-moralische Kompetenzen zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund der so genannten „Betriebsräte-Affäre“ bei Volkswagen sind auch Punkte wie Charakterfestigkeit zu diskutieren. Dabei gilt jedoch, dass Korruption ein grundsätzliches Problem ist, das in vielen Betrieben sich in ganz verschiedenen Facetten vorfindet.

 

Personalentwicklung

Hierzu wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich zunächst zur Aufgabe gemacht hatte, die Personalentwicklung des Unternehmens zu begleiten.

Das Thema Personalentwicklung im Betriebsrat wurde bisher sehr vorsichtig angegangen. Dabei konnten zwei wichtige Fortschritte eingeleitet werden: Erstens konnten zunehmend Betriebsräte für Coaching-Maßnahmen gewonnen werden. Hinsichtlich des Coachings gibt es dennoch Vorbehalte. Möglicherweise wird dieses Instrument von einigen immer noch als Maßnahme für psychisch schwache Menschen angesehen und grundsätzlich als Schwäche bewertet. Aber auch für die Etablierung des Instruments Coaching gilt die Metapher: Der Fortschritt ist eine Schnecke. Zweitens wurde eine so genannte Rotation zwischen den Bereichen durchgeführt. Im Rahmen dieser Maßnahme besuchte je ein Betriebsrat für eine Woche einen anderen Bereich, um die dortigen Gegebenheiten, Probleme, Arbeitsweisen und die dortige Kultur kennen zu lernen. Ziel war, dass Verständnis für die Arbeit der anderen Bereiche zu erhöhen und die gegenseitige Kommunikation zu verbessern sowie das gegenseitige Vertrauen auszubauen. Zudem gibt es die Möglichkeit, von den anderen zu lernen und eine Basis, für eine über die Bereiche hinweg sinnvolle Standardisierung zu schaffen. Die Bilanz nach der ersten Rotation fiel sehr positiv aus. Alle Teilnehmer waren mit den gemachten Erfahrungen sehr zufrieden. Für weitere Rotationen wurde angedacht, die Rotations-Phase auf mehrere Wochen auszudehnen.

Personalentwicklung wird aufgrund der Altersstruktur innerhalb des Betriebsrates in den kommenden Jahren zwangsläufig ein Thema und spiegelt damit die schwierige demografische Situation des Werkes wider. So werden mit der jüngst abgeschlossen Altersteilzeit in den kommenden acht Jahren rund zwei Drittel den Betriebsrat verlassen. Die Betriebsratsspitze wird voraussichtlich zum selben Zeitpunkt geschlossen in die Altersteilzeit gehen.

 

Qualifizierung

Das Thema Qualifizierung ist durch eine Arbeitsgruppe bearbeitet worden. Diese Arbeitsgruppe ist mehrheitlich eine Arbeitsgruppe der Vertrauenskörperleitung der IG Metall gewesen. Ziel war, die Betriebsräte fachlich und überfachlich optimal zu qualifizieren. Durch die Arbeitsgruppe ist eine Bestandsaufnahme bisheriger Qualifizierungsmaßnahmen sowie eine Umfrage zu gewünschten Qualifizierungen bzw. Bedürfnissen durchgeführt worden. Damit gab es einen Überblick über alle Qualifizierungen und welche Qualifizierungen aus Sicht einzelner Betriebsräte notwendig wären sowie welche Arten der Qualifizierung vorgezogen würden.

In einem nächsten Schritt wird eine Qualifizierungsmatrix gestaltet werden. Hierbei muss es auch um das Thema Führung gehen.

Tendenziell werden die überfachlichen Qualifizierungsbereiche gegenüber den fachlichen von den Betriebsräten vorgezogen. Insbesondere in den Schwerpunktbereichen Rhetorik, Verhandlungsführung, Moderation und Gesprächsführung wurde Entwicklungsbedarf angegeben. Darüber hinaus bestand Qualifizierungsbedarf im Umgang mit Computeranwendungen sowie im Bereich der Arbeitssicherheit. Dabei werden persönliche Gespräche sowie Computerqualifizierungen und Maßnahmen in Form von Tages- und Wochenseminaren mit Übernachtungsmöglichkeit bevorzugt. Der geplante Zeitraum von Qualifizierungsmaßnahmen pro Jahr ist jedoch sehr unterschiedlich.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Betriebsräte zukünftig verstärkten Bedarf im Bereich der überfachlichen Qualifizierung sehen. In den vergangenen Jahren hat sich die Betriebsratsarbeit zunehmend verändert. Während noch vor einiger Zeit die Wahrung gesetzlicher Grundlagen wie Tarifverträge usw. im Vordergrund stand, ist nun die soziale Kompetenz stark in den Vordergrund gerückt. Psychosomatische Erkrankungen, Suchtprobleme, Stress- und Konfliktsituationen gehören nunmehr zum Arbeitsalltag und führen zu fachlichen und quantitativen Überforderungen. Daher empfahl die Arbeitsgruppe Schulungen in diesem Bereich.

Ein wichtiges Ergebnis ist die Beauftragung eines Gremiums, dem geschäftsführenden Fraktionsvorstand, zu diesem Thema. Damit ist mehr Transparenz und Akzeptanz geschaffen worden. Zudem ist es leichter, ein Seminar abzulehnen, ohne dass persönliche Konflikte die Folge sind.

 

Übertragbarkeit auf andere Betriebsratsgremien

Für alle Betriebsratsgremien ist das Thema Führung wichtig – selbst wenn nur ein Betriebsrat existiert. Zur Erinnerung: Man kann nicht nicht führen. Aufgaben und Herausforderungen an Betriebsräte erfordern Führung. Deshalb ist es wichtig, dieses Thema weiter aus der Tabuzone herauszuholen, um es besprechbar und gestaltbar zu machen. Es ist auch für andere Betriebe wichtig, aus Grauzonen herauszukommen und ein offensives Umgehen mit dem Thema Führung zu ermöglichen und ein Verständnis hierfür zu schaffen.

Dabei ist es aus unserer Sicht wichtig, nicht zu versuchen Unternehmens­vorstellungen von Führung auf den Betriebsrat übertragen zu wollen, sondern ein eigenes Verständnis von Führung zu entwickeln. So kommt es darauf an, Führung im Betriebsrat mit einer kooperativen Umgehensweise zu verbinden. [Ø HB Kap. 4.1 Führung im Betriebsrat] „Führen im Team“ ist aus unserer Sicht ein wichtiges Stichwort. Dies erfordert aber bei den Betriebsratsmitgliedern, Eigenverantwortlichkeit mit der Bereitschaft zu Disziplin und Einordnung zu verbinden. Wo diese Verbindung zwischen Führung und „Geführtwerden“ nicht gelingt, kommt es oft zu erheblichen persönlichen Belastungen der Führungspersonen oder dem Ausweichen davor, Führung zu zeigen. Beides ist nicht gut, weder für das Gremium noch für die Personen. Hier ist Qualifizierung sinnvoll, denn die wenigsten sind für diese Aufgabe ausgebildet worden.

Nicht nur weil im Team geführt werden soll, sondern weil das Instrument der Teamentwicklung sich mehr als bewährt hat, ist die Übertragung dieses Instrumentes sehr wichtig. Das Instrument ist zudem wichtig, um das Thema Transparenz auch in schwierigen Zeiten herzustellen. Grundsätzlich gilt für Gremien: Es muss ein Instrumentarium hergestellt werden, das Transparenz herstellt. Und dieses Instrumentarium muss in gegenseitiges Vertrauen eingebettet sein.

Betriebsräte sind hohen Anforderungen und vielen Konflikten ausgesetzt, so dass Teamentwicklungen als integraler Bestandteil von Betriebsratsarbeit angesehen werden müssen. Dabei ist zu erwähnen, dass hinsichtlich der Teamentwicklung um Qualität zu gewährleisten ein sehr hoher Aufwand in Emden betrieben wird. So dauert eine Teamentwicklung zweieinhalb Tage, findet außer Haus statt und wird extern von der IG Metall-Bildungsstätte durch einen Vertreter begleitet.

Im Sinne einer nachhaltigen Betriebsratsarbeit sind zumindest Bestandteile von Personalentwicklung notwendig. Wichtig ist die Stärkung einzelner Betriebsräte, zum Beispiel durch Coachingmaßnahmen. Auch wird es notwendig sein, dem Thema Überlastung offensiv zu begegnen. So sind Kuren oder präventive Maßnahmen wie regelmäßige gesundheitliche Checks sinnvoll.

Um dies zu komplettieren, ist eine umfangreiche und zielgenaue Qualifizierung notwendig. Für alle Betriebsratsgremien wird es hilfreich sein, eine Matrix zu entwickeln, in der Anforderungen an Betriebsräte mit Qualifizierungsangeboten verbunden werden. Dabei wird es neben der fachlichen Qualifizierung wichtig sein, insbesondere die überfachlichen und persönlichkeitsprägenden Komponenten zu berücksichtigen.

Zur Umsetzung dieser Themen hat sich die Institutionalisierung dieser Aufgaben innerhalb bestehender Gremien bzw. in Form von Arbeitsgruppen als positiv erwiesen. Dabei kommt es darauf an, ob es eine fortlaufende Aufgabe oder ein zeitlich begrenztes Arbeitsfeld sein soll.

 

Wichtig für die Zukunft, offene Fragen, Nachhaltigkeit

In der Zukunft wird es wichtig sein, die Diskussionen zum Thema Führung in den Gewerkschaften und in der Politik zu führen, mit der Folge möglicher Anpassungen der gesetzlichen Grundlage an die Anforderungen moderner Betriebsratsarbeit. Darüber hinaus sollte das gewerkschaftliche Bildungsangebot hierzu weiterentwickelt werden. Es wird aus unserer Sicht eine über längere Zeiträume stattfindende professionelle Begleitung geben müssen. Hier kommt es eher auf die Regelmäßigkeit als auf längere einzelne Seminare an.

In Emden werden weitere Instrumente wie „Persönliche Entwicklungsgespräche“ auf ihre Einsetzbarkeit geprüft werden. Es wird zu entscheiden sein, ob die Zeit reif ist, um eine derartige Veränderung umsetzen zu können. Denn nach wie vor besteht ein erhebliches Misstrauen gegenüber derartigen Instrumenten, die etwas von „Bewertung“ und „Kontrolle“ in den Augen vieler Betriebsräte haben. Dennoch liegt auf der Hand, dass ein solches Instrument wichtig ist, um strategisch (Karriere) Personalplanungen vornehmen zu können. Faktisch gibt es solche Gespräche, nur sind sie nicht systematisiert und auch nicht offen.

Betriebsratsarbeit entwickelt sich zunehmend zu einem anspruchsvollen Beruf, auf den Menschen vorbereitet und hingeführt werden müssen. Wer glaubt, aus dem Stand erfolgreiche Betriebsratsarbeit leisten zu können, irrt und wird sich oftmals überfordern und seiner Aufgabe nicht gerecht werden. Schon frühzeitig müssen Menschen eine Orientierung bekommen, was auf sie zukommt, wenn sie Betriebsrat werden wollen. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, leistungsfähige und hochqualifizierte Menschen für Betriebsratsarbeit gewinnen zu können. Dies wird nur gelingen, wenn Betriebsratsarbeit auch Karriere bedeuten kann oder zumindest einen Teil einer beruflichen Karriere bildet.

 

6.3.1 Systematische Bearbeitung des Themas Gender

[Ø HB Kap.4.4 Bearbeitung Genderprozess]

Ausgangssituation, Stärken und Probleme

In einem Unternehmen wie VW mit einer starken Tradition in betrieblicher und gewerkschaftlicher Mitbestimmung ist das Ziel der Gleichstellung von Frauen intensiv verfolgt worden. In der Vergangenheit gab es vielfältige Aktivitäten und einige Erfolge, um die Situation der Frauen zu stärken. Beispiele hierfür sind keine Entgeltdiskriminierung, Teilzeitmöglichkeiten für alle, geschlechterneutrale Ausschreibungen etc. Der Frauenanteil im Betriebsrat (8,1%) und im Vertrauenskörper (7,96%) entsprach im Jahr 2008 gut dem Frauenanteil im Unternehmen (7,16%). Die Leitung des Vertrauenskörpers hatte eine Frau inne, zwei von drei Frauen im Betriebsrat waren Ausschussvorsitzende. Die zukunfts­gestaltende Maßnahme, eine Mindestquote weiblicher Auszubildenden zu erreichen, konnte erfolgreich umgesetzt werden (zur Zeit der Berichterstellung waren 30,5% der Auszubildenden weiblich).

Dennoch wurde im Projektantrag die Stärkung der Rolle der Frau als Teilziel aufgenommen. Die Bestandsaufnahme zeigte trotz oben genannter Erfolge auch einige Probleme. Zum insgesamt geringen Frauenanteil im Unternehmen hatte in der jüngeren Vergangenheit ein Angebot von Aufhebungsverträgen zur Personal­reduktion beigetragen. Aufgrund des traditionellen Rollenverständnisses hatten sich mehrheitlich Frauen entschieden, dieses Angebot anzunehmen - trotz zahlreicher Versuche der IGM-Fraktion und des Betriebsrats, dem entgegenzuwirken. Ein weiteres Problem stellte die geringe Präsenz von Frauen in Leitungsfunktionen im Werk dar. Ein Frauenförderplan soll auf den Weg gebracht werden. Schließlich war der Gleichstellungsausschuss grundsätzlich nicht mehr so präsent wie früher, er tagte nur noch selten. Die Mitglieder bemängelten teilweise wenig Akzeptanz und wenig Interesse im Betriebsrat bzw. in den Fraktionen für dieses Thema.

Zusätzlich erwies es sich als ungünstig, dass auf der Unternehmensseite keine Ansprech­partnerin für das Thema Gleichstellung benannt war.

 

Umsetzung und Ergebnisse

Das Thema „Gender Mainstreaming“ in einer traditionellen Mitbestimmungskultur einzuführen, bedeutet auch eine Veränderung in der traditionellen gewerkschaftlichen Herangehensweise, die ihre Zeit braucht. Hier geht es nicht nur um die Vertretung der Interessen von Frauen, sondern die Herausforderung besteht darin, bei allen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Männern und Frauen zu berücksichtigen, beide Geschlechterrollen im Auge zu haben und für beide Seiten nutzvolle Lösungen zu finden.

Im Mai 2008 und im Januar 2009 fand jeweils ein Workshop mit dem Gleichstellungsausschusses, dem Fraktionsvorsitzenden, dem internen Projektleiter und einer Jugend- und Auszubildendenvertreterin zum Thema Gender Mainstreaming statt. Als Annäherung an das Thema wurde ein Perspektivwechsel durchgeführt („Ich als Mann/Frau im Werk Emden“), der sehr schön einerseits die Klischees aufzeigte, aber auch die Vor- und Nachteile der beiden Rollen deutlich machte. Neben der grundsätzlichen Analyse bestand eine herausfordernde Aufgabe darin, die Schwerpunktthemen „Familienfreundlichkeit“, „Personalentwicklung“ und „Demografischer Wandel“ unter dem „Gender-Blick“ zu betrachten und Ansatzpunkte für Ziele und Maßnahmen zu finden. Ergebnisse waren unter anderem die inzwischen ausgehandelte garantierte Freizeit für werdende Väter bei der Geburt ihres Kindes sowie eine tiefergehende Analyse des demografischen Wandels unter dem Geschlechteraspekt. Darüber hinaus wurde die Ansprechpartnerin des IGM-Vorstands für Gender-Fragen in die Fraktion eingeladen, um breiter für dieses Thema zu sensibilisieren. Für den Ausschuss gelang es, ein neues praktikableres Zeitfenster zu finden und einen realistischen Arbeits- und Maßnahmenplan zu entwerfen.

 

Übertragbarkeit auf andere Betriebsratsgremien

Um vor Ort etwas für die Belange von Männern und Frauen erreichen zu können, braucht es Offenheit von allen Beteiligten für dieses Thema. Das bedeutet: Weg von den herkömmlichen „Denkschubladen“ und manchen eingefahrenen schwarz-weißen Mustern. Frauen wie Männer haben spezielle Lebenssituationen, die Geschlechterrollen haben Vor- und Nachteile, Frauen haben es nicht nur schlecht und Männer nicht nur gut. Alle haben zu diesem Thema etwas beizutragen und alle können einen Nutzen daraus ziehen.

Der Gender-Ansatz braucht Promotorinnen und Promotoren, die bei der Bearbeitung von Themen immer wieder den Blick auf diesen Aspekt richten, immer wieder Fragen stellen, in wie weit die Lebenssituationen von Männern und Frauen berücksichtigt werden. Das Thema wird als weniger „künstlich“ wahrgenommen, wenn die Gender-Aspekte nicht abgetrennt sondern direkt bei den anstehenden und drängenden Herausforderungen berücksichtigt werden. „Gender als Methode“ bedeutet, systematisch die Gender-Fragestellungen auf wichtige Inhalte zu beziehen und auf diese Weise in die alltägliche Betriebsratsarbeit zu integrieren.

Darüber hinaus ist es wichtig, auf Unternehmensseite einen Ansprechpartner zu haben, um Maßnahmen auch voranbringen zu können.

Am allerwichtigsten ist es, in der Argumentation den Nutzen für die Beteiligten darzustellen, der durch die Berücksichtigung des Gender-Aspekts entsteht. Dies betrifft die Kommunikation zu den anderen Fraktions- und Betriebsratsmitgliedern ebenso wie zu der Unternehmensseite.

 

Wichtig für die Zukunft, offene Fragen, Nachhaltigkeit

Für die Zukunft wird es wichtig sein, die Ergebnisse des Gleichstellungsausschusses nachzuverfolgen und die begonnene enge Verzahnung zu wichtigen Themen weiter zu praktizieren. In weiterführenden Diskussionen ist die Idee entstanden, das Gender-Thema als Beitrag zur Humanisierung der Arbeit in Richtung Familien­freundlichkeit weiter zu entwickeln und auszubauen. Auf diese Weise könnte ein attraktiver Standortvorteil für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entstehen.

Die zukünftige Arbeitswelt wird weniger stark männerdominiert sein als jetzt – die Zunahme weiblicher Auszubildender, die Stärke weiblicher Schulabgänger etc. deuten in diese Richtung. Betriebsratsgremien in produzierenden Unternehmen sind in der Regel durch ältere Männer besetzt, die wiederum die Arbeitskultur prägen. Hier besteht die Herausforderung darin, den Anschluss an die Entwicklung zu behalten, was die Zusammensetzung der Gremien sowie die inhaltliche Bearbeitung von Themen angeht.


6.4 Kommunikation

[Ø HB Kap. 5 Kommunikation]

Kommunikation des Betriebsrates

Arbeitsfelder

Zusammenarbeit Betriebsrat / VL

Kommunikation

Kontakt vor Ort

Ausgangs­situation /

Probleme / Stärken

Rolle der VL im Verhältnis zum Betriebsrat nicht vollständig klar

Große Vielfalt / Unterschiedlichkeit zwischen den Bereichen, brisante Punkte

● Zu geringe Einbeziehung durch den Betriebsrat schwächt VL-Arbeit

● Ausgefeilte Kommunikation des Betriebsrats VW Emden, aber zu unstet

● Allgemein in Deutschland meist handgestrickte Kommuni­kation des Betriebsrats

Professionelle Kommunikation in Zeiten der Betriebsratswahlen, sonst eher punktuell

Umständliche interne Kom­muni­kation

Fehlende technische Aus­stattung

Unzufriedenheit der Betriebsräte, nicht genügend vor Ort sein

Wunsch/Druck der Belegschaft nach mehr „Vor-Ort-Präsenz"

Hohe Belastung bzw. hohe Anforderungen durch ständigen Wechsel der Kommunikations­situationen und –themen

 

 

 

 

Ziele

Aus Projektantrag:

Beschreibung einer klaren Rollenverteilung zwischen Betriebsrats-Mitgliedern und Vertrauensleuten sowie der Kompetenzen von VL

Im Projekt:

Zusammenarbeit zwischen Betriebsräten und Vertrauensleuten verbessern

Entlastung Betriebsräte

Aus Projektantrag:

Weiterentwicklung der Kommunikation im Gremium und nach außen

Konkretisiert im Projekt:

neue Wege der Kommunikation mit der Belegschaft

Menschen sollen erreicht werden

Überprüfung über Umfrage

Neue Wege der Kommunikation des Betriebsrats über Versammlungen, Medien, direkte Kommunikation

Kommunikation verstetigen und professionalisieren

Zielgruppenorientiert kommunizieren

 

Organisierten Kontakt herstellen                Mehr Vor-Ort-Kontakt

Qualität des direkten Kontaktes verbessern

 

 

 

 

 

Zielerreichung

Teilweise Integration von VL im Projekt

Verstetigung der VL-Info durch Kennzahl und deren Einhaltung

Kommunikation mit Hilfe von

Erreichbarkeit und Kommunikation der Betriebsräte untereinander verbessert

Öffentlichkeitsarbeit verstetigt

Organisation der Arbeit verbessert

Sitzungen verbessert

Imageumfrage weiterentwickelt

Regelmäßige Präsenz vor Ort durch Infostände sowie über Teilnahme an Teamgesprächen

Verbessertes Gesprächsverhalten

 

 

 

 

Aktionen / Maßnahmen

Versuch VL in AG einzubinden

3 VL-Konferenzen durchgeführt.

Anspruch des Projektes hinsichtlich der VL reduziert

Besuch VL Konferenz durch S. Otto als Externer war wichtige Wert­schätzung

 

Fortentwicklung der Kommunikationsmaßnahmen

Infostände/Kennzahl

Kampagnearbeit – auch dezentrale Kommunikationsmaßnahmen

Qualifizierung zur Technik, Outlook

Einsatz technischer Mittel von Handy über Beamer bis Outlook

Imageumfrage weiterentwickelt und durchgeführt

Kennzahlen zu Werkszeitschrift,

Intranet und Pressemitteilungen nachhaltig verstetigt

Kennzahl zur Präsenz in Team-gesprächen

Kennzahl zu Infoständen

Verbesserung durch Schulungen wie „Gemüseladen“ oder Rhetorik

 

 

 

 

Wichtig für die Zukunft

Selbstverständnis/Rolle der VL klären und ggf. entsprechende Qualifizierung für VL

Ergebnisse aus Befragung in Projekt integrieren; wo Veränderungen, Hypothesen

Kommunikation weiter verstetigen und weiter qualifizieren

Zielgruppenorientierung weiter verfolgen und verbessern

E-Kommunikation ausbauen

Überdenken bisheriger Kommunikationsformen wie die Betriebsversammlung

Ausweiten und verstetigen von Schulungen zur direkten Kommunikation – ständiges Lernen erforderlich (nicht nur Technik, sondern auch Stärken der Persönlichkeit von Betriebsräten)

 

 

 

 

Ausgangssituation/Stärken und Probleme

„Betriebsratsarbeit ist ein Kommunikationsjob“, stellte ein Personalleiter bei Volkswagen fest. Damit beschrieb er ein wichtiges Feld der Betriebsratsarbeit, das auch die Betriebsräte während des Projektes immer wieder hervorhoben. In den Aussagen der Betriebsräte ging es dabei vor allem um die Arbeit „vor Ort“. „Zeit für die Kolleginnen und Kollegen“ zu haben wurde immer wieder genannt, wenn es darum ging, wann eine verbesserte Betriebsratsarbeit spürbar wäre.

Damit war früh klar, dass die Kommunikation im Projekt eine wichtige Rolle einnehmen würde. Das oben genannte Erklärungsmodell hebt diese Kompetenz ebenfalls hervor: Der Betriebsrat ist zentraler Akteur inmitten eines betrieblichen und überbetrieblichen Spannungsfeldes. Um ihn herum sind unterschiedlichste Akteure: Vom Management über regionale Institutionen bis hin zur Belegschaft. Nur eine gute Kommunikation stellt sicher, dass die Belegschaft die Arbeit des Betriebsrates nachvollziehen kann, Meinungen der Belegschaft an den Betriebsrat kommen und der Betriebsrat in den Wahlen ggf. auch bestätigt wird. Und nur eine gute Kommunikation mit den unterschiedlichsten Unternehmensvertretern ermöglicht eine erfolgreiche Verhandlungsführung. Zusätzlich zu der Kommunikation mit den Unternehmensvertretern und der Belegschaft, muss auch die Kommunikation innerhalb des Betriebsrates, zwischen den Betriebsratsmitgliedern, gut funktionieren.

Kommunikation verläuft zumindest über zwei Ebenen. Zum einen auf der persönlichen, zum Beispiel im Rahmen eines persönlichen Gesprächs und zum anderen auf der Ebene der Massenkommunikation.

Betriebsräte waren und sind in ihrem Alltag extrem unterschiedlichen Kommunikationssituationen ausgesetzt: So konnte einem strategischen Gespräch mit Cost-Center-Leitung unmittelbar eine hitzige Auseinandersetzung mit aufgebrachten Kollegen folgen, deren Urlaub gerade abgesagt wurde. Oder ein Gespräch über eine persönliche Tragödie schloss sich einer Diskussion mit Vertrauensleuten an, die sich gerade über Rationalisierungsmaßnahmen des Managements beschwert haben. Diese Situationswechsel waren Teil des Alltags von Betriebsräten und führte zum Teil zu Überlastungen und zu dem Gefühl letztlich niemandem mehr gerecht zu werden. Dabei waren einige Gesprächssituationen für sich genommen schon anspruchsvoll – sowohl fachlich als auch überfachlich.

Auf Ebene der Massenkommunikation waren zu Projektbeginn in der IG Metall-Fraktion bereits erhebliche Leistungen erbracht worden. So gab es bereits seit 2001 ein Kommunikationsteam, das zum Teil extern begleitet wurde. Die Stellung des Beraters, der Praxis Agentur aus Bremen, wuchs mit den Jahren und mit den gemeinsam erarbeiteten Ergebnissen. Schrittweise wurden Mitglieder des Kommunikationsteams geschult, so dass ein zunehmendes Verständnis für die Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit entstand. Die Arbeit des Teams wurde mit dem Wahlkampf zur Betriebsratswahl 2006 mehr als akzeptiert: Die Vorgaben des Teams mussten auf Grundlage eines Fraktionsbeschlusses umgesetzt werden.

Die Kommunikation verlief auf Basis einer Werteumfrage, bei der die Werte der Belegschaft abgefragt wurden. Die Werte Familie, Sicherheit/Schutz und Gerechtigkeit stellten sich als besonders wichtig für die Mitarbeiter heraus. Aus dieser Umfrage wurden die Werte für den Wahlkampf abgeleitet und Anknüpfungspunkte gefunden, um mit den eigenen Botschaften von der Belegschaft wahrgenommen zu werden. Darüber hinaus wurde die Kommunikation teilweise „lokalisiert“. Jeder Vertretungsbereich bekam sein Medium, um zielgruppenorientiert kommunizieren zu können.

Vor Ort zu sein wurde 2006 mit den so genannten „Info-Ständen“ systematisiert. Damit gab es eine Antwort auf folgendes Dilemma: Rein rechnerisch hatte jeder Betriebsrat über 270 Beschäftigte zu betreuen. Ein Verhältnis, das eine persönliche Betreuung faktisch kaum möglich macht. Mit den Info-Ständen vor Ort wurden Gesprächsangebote gemacht, die Betriebsräte wurden gesehen, so dass sie für die Belegschaft „greifbar“ waren. [Ø HB Kap.2.1 Gestaltung von Informations- und Dialogveranstaltungen zwischen Betriebsräten und Vertrauensleuten] Über lokale Flugblätter mit den Ergebnissen wurden Kommunikationskreisläufe geschlossen und einem größeren Personenkreis erschließbar gemacht.

Die Qualität der IG Metall-Betriebsratsarbeit und ihrer Kommunikation wurde seit 2002 in Zusammenarbeit mit der Praxis Agentur und mit Hilfe einer sogenannten Imageumfrage gemessen. Wir gingen davon aus, dass ein gutes Image zentral für erfolgreiche Betriebsratsarbeit ist. Deshalb wollten wir wissen, wie es um unser Image in der Belegschaft stand und haben mit Hilfe des Polaritätenprofils eine Umfrage vorgenommen [Ø HB Kap. 5.1 Analyseinstrument Regelmäßige Imagebefragung mit dem Polaritätenprofil]. Jedes Jahr zur selben Zeit wurden 1.700 Blätter ausgegeben, mit deren Hilfe die Belegschaft Rückmeldung gab. Die Ergebnisse fließen in die Weiterentwicklung der Betriebsratsarbeit ein.

Das größte Problem der Öffentlichkeitsarbeit war die mangelnde Stetigkeit. Insbesondere zwischen den Wahlkämpfen ließ für viele der Betriebsräte die Bedeutung der Kommunikation nach, so dass sie letztlich nicht nachhaltig verlief.

Der Kontakt mit den und über die Vertrauensleute galt insbesondere aus Unternehmenssicht als vorbildlich. Nicht wenige Manager waren neidisch auf das eingespielte Kommunikationssystem mit den Vertrauensleuten, das für eine gute Verbindung mit der Belegschaft sorgte. Dennoch stellte die Arbeit mit den Vertrauensleuten eine große Herausforderung dar. Schließlich hatten die Betriebsräte nicht nur positive Nachrichten zu übermitteln, sondern auch Kompromisse, die gut erklärt werden mussten.

 

Umsetzung und Ergebnisse

Ein wichtiges Ergebnis des Projektes ist, dass die schwierigen Gesprächssituationen besprechbar wurden. So gab es Befürchtungen, dass dies als persönliche Schwäche ausgelegt werden könnte, anstatt als Ergebnis einer realen Überforderung, die angesichts der Anforderungen eine gewisse Normalität bekommen hatte.

Mit Schulungen im Bereich der Gesprächsführung u. ä. reagierte der Betriebsrat in der Projektzeit auf die genannten schwierigen Situationen. Zudem wurde in Zusammenarbeit mit der Praxis Agentur ein Seminarkonzept angeboten, das speziell auf die Herausforderungen persönlicher Kommunikation abgestellt war. Es ging darum, den Nutzen, den die Belegschaft aus den Leistungen der Betriebsratsarbeit hat, herauszuarbeiten und vermittelbar zu machen.

Für die strategische Kommunikation und Werbung hat die Praxis Agentur die Methode „Gemüseladen“ entwickelt [Ø HB Kap. 5.3: Beispielvorlage Prozess Gemüseladen]. Die Methode hilft Betriebs­räten und Vertrauensleuten, die besten Nutzen zu finden und ihre Zielgruppen zu begeistern. Ähnlich zu dem Einkauf eines Gemüseladenbesitzers für sein Sortiment, sollen dem Modell nach, auch die Anbieter von Dienstleistungen ihre Leistungen anbieten.

Zuerst wird der Nutzen für die ausgewählte Zielgruppe ausgesucht. Bei der Bestimmung der Zielgruppen helfen die Sinus-Milieus und berufliche Milieus wie Entwickler, Facharbeiter oder Studenten.

Die Nutzen können daraufhin präsentiert werden. Die besonders aktuellen Nutzen werden der Zielgruppe besonders präsent "angeboten".

Auf den Altar kommen die Nutzen, die den Kunden wirklich wichtig sind. Nicht nur aktuell, sondern grundsätzlich. Hier werden im "Gemüseladen" die Werte konserviert. Sie schaffen Vertrauen.

Damit der Kunde wiederkommt, muss präsentiert werden, welche Nutzen in Zukunft angeboten werden. Alle anderen Nutzen gehören in das "Regal". Mit ihnen kann der Betriebsrat nur dann punkten, wenn sich der Kunde bereits Interesse zeigt. Dafür muss aber zunächst sein Interesse geweckt worden sein.

Nutzen des Gemüseladens:

1. Nutzen begeistert

2. Nutzen lassen Bilder entstehen. Und Bilder lassen sich besser merken

3. Unterschiedliche Zielgruppen erfordern unterschiedliche Gemüseläden

4. Gute Kommunikation planen und besser texten

5. Bessere Reden schreiben

6. Kampagnenslogan einfacher finden

7. Öffentlichkeitsarbeit auf den Punkt bringen

In der Schulung mit den Betriebsräten wurde Gesprächsführung vor Ort mit Kolleginnen und Kollegen behandelt. Dabei wurde deutlich, dass Veränderungen in der Kommunikation der Betriebsräte notwendig sind. Es geht nicht nur darum, den Beschäftigten Probleme abzunehmen und sie für sie zu lösen. Verstärkt wird es darum gehen, die Beschäftigten zu unterstützen, ihre Probleme selbst zu lösen und von dem Betriebsrat Unterstützung zu bekommen. Die Zahl derjenigen Kolleginnen und Kollegen, die ihre Probleme selbständig lösen und den Betriebsrat als Fachberatung und als Begleiter auf dem Weg zu „ihrer“ Lösung ansehen wird steigen.

Die Nachhaltigkeit der Kommunikation wurde im Rahmen des Projekts über verschiedene Kennzahlen hergestellt. Dabei ist besonders hervor zu heben, dass sich die Betriebsräte verpflichtet hatten, eine bestimmte Anzahl von Teamgesprächen zu besuchen. Zudem wurden Kennzahlen für die Anzahl der Info-Stände in den Bereichen vereinbart. Damit ist dem Projekt eine Form der Standardisierung gelungen, die seitens der Bereiche sowie einzelner Betriebsräte lange Zeit abgelehnt und blockiert worden war.

Ein wichtiger Schritt war die Ausstattung aller Betriebsräte mit Mobiltelefonen, so dass eine deutlich bessere Erreichbarkeit aus Sicht der Belegschaft möglich wurde. Hinzu kam, dass die Kommunikation innerhalb des Betriebsrates dadurch leichter und schneller wurde. Auch die durchgeführten Qualifizierungen zu „Outlook“ haben Kommunikation und Arbeitsorganisation verbessern können. Die Ausstattung sowie die darauf bezogene Qualifikation der Betriebsräte in den Hallen mit technischen Einrichtungen wie Beamer etc. hat die Kommunikation mit Vertrauensleuten verbessert.

Hinsichtlich der Arbeit mit den Vertrauensleuten hatte sich das Projekt Grenzen gesteckt. Von den insgesamt 400 Vertrauensleuten wurde mit rund 70 Vertrauensleuten der so genannten Bereichsvertrauenskörperleitungen im Rahmen dreier Konferenzen gearbeitet. Dort sind Themen wie die Zusammenarbeit mit den Betriebsräten diskutiert worden. Hier hatte sich ein Diskussionsfeld eröffnet, inwieweit Vertrauensleute in die Betriebsratsarbeit einbezogen werden sollten, ohne dass dadurch ihr Einfluss als „politisches Korrektiv“ vermindert würde. Eine Kennzahl, die gut umgesetzt wurde, war die Anzahl der jährlichen Informationsveranstaltungen für die Vertrauensleute. Das Projekt hatte mit dem Aufwerfen von diesen Fragen und die Kommunikation über das Projekt hinsichtlich des Vertrauenskörpers seine Grenzen erfahren, da für eine intensivere Bearbeitung des Feldes nicht genug Ressourcen zur Verfügung standen.

 

Übertragbarkeit auf andere Gremien

Das Thema Kommunikation ist für jeden Betriebsrat von großer Bedeutung, egal wie groß er ist. Dabei sind kleinere Betriebe weniger von dem Thema der Öffentlichkeitsarbeit über Massenkommunikationsmittel betroffen. Dort wird vornehmlich über den persönlichen Kontakt kommuniziert. Aber auch hier gelten Regeln, wie richtig kommuniziert wird. Ob es das "Gemüseladenkonzept" oder die "Wertorientierte Ansprache" [Ø HB Kap. 5.1.2 Analyseinstrument: Fragebogen zur Identifizierung des Wertesystems der Belegschaft] ist. Mit dem Gemüseladen haben wir eine Methode angewandt, die für alle Betriebsräte wichtig ist. Dennoch bleibt darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um eine Methode handelt. Gibt es Ängste vor Gruppen, frei zu reden, kann diese Methode Sicherheit geben. Es sind jedoch keine Wunder zu erwarten und aus einem ängstlich-schüchternen Menschen wird auch kein Kommunikations­profi.

In vielen Betrieben, ob klein oder groß, wird dem Thema Kommunikation zu wenig Bedeutung beigemessen. Aus unserer Sicht sind Qualifizierungen zu diesem Thema sehr sinnvoll, auch eine zielgenaue Beratung ist hilfreich. Ein etabliertes Gremium, das über ein angemessenes Budget und Ausstattung verfügt, ist wichtig, um professionell und konstant arbeiten zu können.

Die richtige technische Ausstattung sowie die dazu gehörige Qualifikation der Betriebsräte kann ein Schlüsselfaktor in der Kommunikation der Betriebsräte werden. Hier kommt es auf die jeweiligen Gegebenheiten des Betriebes an. Nicht selten stellen relativ hohe Kosten ein Hindernis für die Einführung technischer Medien dar. Dennoch stellt der kommunikative und organisatorische Fortschritt ausreichend Vorteile dar, um dies zu rechtfertigen. Und: Auf Managementseite sind diese technischen Voraussetzungen normal bzw. sie werden sogar zwingend eingefordert. Betriebsräte sollten deshalb allemal auf gleichwertige Ausstattung drängen – sofern es aus ihrer Sicht sinnvoll erscheint.

 

Wichtig für die Zukunft, offene Fragen, Nachhaltigkeit

In einer Welt, in der die Medien immer wichtiger werden, ist die Kommunikation eine wichtige Disziplin der Betriebsratsarbeit und muss dementsprechend seinen Stellenwert bekommen. Zukünftig werden die elektronischen Medien wichtiger werden, da jüngere Kolleginnen und Kollegen diese Medien viel intensiver nutzen als dies noch bei den Älteren der Fall war. Die Fortsetzung der Qualifizierungen zu diesem Thema ist unerlässlich. Dies gilt sowohl für das Thema Öffentlichkeitsarbeit als auch für die persönliche Kommunikation. Hier ist auf die Bedeutung im Zusammenhang mit der zu erstellenden Qualifizierungsmatrix hinzuweisen.

Trotz aller Nachhaltigkeit über Kennzahlen erfordert gute Kommunikation viel Kreativität. Sie muss Raum bekommen, damit auch Faktoren wie Spaß nicht untergehen. Zudem könnte über eine weitere Vernetzung mit effektivem Einsatz der Ressourcen gute Öffentlichkeitsarbeit betrieben werden. Dies gilt nicht nur für Gesamtbetriebsratsstrukturen, sondern auch für Regionen, die über die jeweiligen Verwaltungsstellen zusammengefasst werden. Die lokalen bzw. regionalen gewerkschaftlichen Einrichtungen könnten diesbezüglich wichtige Impulse für eine überbetriebliche Zusammenarbeit geben.

Die weitere Verzahnung der kommunikativen Instrumente mit der Organisation und Durchführung der Betriebsratsarbeit ist eine wichtige Aufgabe. Wie können die Ergebnisse aus den regelmäßigen Imageumfragen noch besser für die Betriebsratsarbeit genutzt werden?

In der Zusammenarbeit mit den Vertrauensleuten steht die Klärung ihrer Rolle an. Einerseits sind sie unverzichtbarer Teil einer Kommunikation in Großbetrieben, andererseits ist ihre Aufgabe nicht darauf zu verkürzen. Vertrauensleute haben eine gewerkschaftliche Aufgabe und sind in gewisser Weise ein gewerkschaftliches Korrektiv. Gerade vor dem Hintergrund kompromisshafter Verhandlungen mit dem Management ist es wichtig, dass Vertrauensleute ihre und die Meinung der Belegschaft transportieren, um einen demokratischen und stabilen Willensbildungsprozess zu ermöglichen. Die Wahrung der Unabhängigkeit der Vertrauensleute ist deshalb unerlässlich. Andererseits sind Betriebsräte – gerade in Großbetrieben (da sich mit zunehmender Belegschaftszahl der Betreuungsschlüssel durch Betriebsräte verschlechtert) – auf eine Zusammenarbeit mit Vertrauensleuten in der alltäglichen Interessenvertretung angewiesen. In diesen Fall agieren Betriebsräte oft in einer Art Führungsrolle (siehe oben) gegenüber den Vertrauensleuten, die die jeweiligen Prozesse vor Ort begleiten bzw. umsetzen. In diesem Spannungsfeld ist das Verhältnis zwischen Betriebsräten und Vertrauensleuten immer wieder zu klären, um letztlich beides zu ermöglichen: Politisch-gewerkschaftliches Korrektiv und eine effektive alltägliche Vertretung der Belegschaft.

Eine Herausforderung für die Betriebsratsarbeit wird sein, eine Arbeitsweise für Marketing, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zu entwickeln, die die Erfahrung der Medienkommunikation mit den spezifischen Aufgaben von politischer- und Vertretungsarbeit innovativ verbindet und neue Formen der Beteiligung entwickelt. Gerade vor dem Hintergrund junger und hochqualifizierter Beschäftigter sehen wir hierin einen wichtigen Ansatzpunkt, um diese Beschäftigtengruppen als Betriebsrat und Gewerkschaft zu erreichen.


7.      Prozess des Projektes

 

7.1 Prozessdynamik: aktive und stockende Phasen, hemmende und fördernde Kräfte

Projekte wie diese unterliegen verschiedenen Faktoren, die den Verlauf und Ausgang erheblich beeinflussen. So hängt der Prozess von Strukturen oder von Menschen ab, die das Projekt prägen. Aber auch Komplexität, Inhalte und Dauer stellen wichtige Einflussgrößen dar. Da das Projekt über zweieinhalb Jahre angelegt war und die Projektleitung eine große Komplexität erwartet hatte, war vorherzusagen, dass das Projekt nicht gleichförmig verlaufen würde. Es würde Höhen und Tiefen geben, es würde Erfolge, aber auch Krisen geben, es würde Zeiten mit hoher Intensität und viel Tempo geben, aber auch Phasen in denen weniger geschehen würde. Um diese Unterschiedlichen Phasen und Dynamiken steuern und gut nutzen zu können, ist eine Struktur gewählt worden, die dem gerecht wird. Es wurde darauf geachtet, dass sich verschiedene Gruppen des Betriebsrates bzw. der IG Metall-Fraktion in dem Prozess wiederfinden würden. Dabei wurde dem Projektteam eine zentrale Rolle zugewiesen. In Verbindung mit dem Lenkungsausschuss sollte die Betriebsratsspitze eingebunden sein, während das Kernteam Reflexion und Vorbereitung leisten sollte.

Dennoch ist nicht vollständig vorhersehbar, wer sich wann und wie stark einbringt, wann die Zeit reif ist, um diffizile Themen zu bearbeiten. So hatten wir uns, wie oben beschrieben, für ein prozessorientiertes Projektmanagement entschieden, das offen ist und die Dynamiken und Energien innerhalb des Betriebsrates aufgreift. Dadurch hat es beim Projektteam in Verbindung mit der wichtigen Frage der Struktur der Fachausschüsse gravierende Ergänzungen gegeben: Dem Team ist der Betriebsratsvorsitzende teilweise und sein Stellvertreter vollständig beigetreten. Damit wurde der Frage der richtigen Struktur so viel Gewicht gegeben, dass die IG Metall-Fraktion sich in der Folge im Rahmen einer Klausur diesem Thema gewidmet hat. Wichtige Ideen wurden so geboren und in die Fraktion getragen. Gerade bezüglich der „großen“ Fragen innerhalb des Projektes hat sich gezeigt, dass es unterschiedliche Promotoren bei den zentral eingesetzten Betriebsräten gab.

Auf der anderen Seite hatte es sich bewährt, bisherige etablierte Strukturen zu nutzen. So war das Lenkungsteam identisch mit dem geschäftsführenden Vorstand der IG Metall-Fraktion, was Kontinuität gewährleistete.

Der häufige Wechsel von Unterstützern und Kritikern gegenüber dem Projekt ist ein wichtiges Kennzeichen des Projektes gewesen, das es in konstruktive Energie zu überführen galt. So sind in der Projektlaufzeit erst sich noch relativ kurz im Amt befindende Betriebsräte zu Unterstützern des Wandels geworden, deren Motivation es aufzugreifen galt. Gleichzeitig bekamen Kritiker ihren Sinn: Gerade in der Projektkrise ist es wichtig, die kritischen Punkte zu benennen und zu klären. So gab es nach zweidrittel der Projektzeit eine Krise, die eine Klärung herbeiführte und damit neue Energien frei setzte um weitere Fortschritte herbeizuführen.

So genannte Ruhephasen sind wertvoll, um Prozesse zu reflektieren und Ideen zu generieren. Hierfür muss es Raum und ein bestimmtes Setting geben. So gaben Kernteamsitzungen sowie die Arbeitstagungen der internen und externen Projekt­leitung wichtige Möglichkeiten, neue Wege zu entwickeln.

Entscheidende Projektimpulse gaben äußere Termine bzw. Institutionen. So waren die jeweiligen Beiratstermine sowie die Betriebsrätekonferenz wichtige Etappen, die einen äußeren Druck erzeugten und auf diesem Wege Prozesse beschleunigten. Auch wurde dadurch der Verantwortungsfokus hinsichtlich einiger Punkte gestreut. Insbesondere in der Frage der Ausschussstruktur wurde auch auf den Beirat verwiesen, so dass nicht nur die Projektpromotoren als ständige „Veränderer“ wahrgenommen wurden. Auf diesem Wege konnte die Diskussion zumindest zum Teil weg von Personen hin zur Sache geführt werden.

 

7.2 Ein anderer Annäherungsversuch: der evolutionäre Blick

Die begleitende Beratungsfirma hat den Ansatz „Evolutionsmanagement“ entwickelt, bei dem es darum geht, für die Entwicklung von Organisationen von der Natur und der Entwicklung der Evolution zu lernen und Organisationsentwicklung in eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu integrieren. Elemente dieses Ansatzes waren in das Projekt integriert und sind an anderer Stelle, z.B. bei der Darstellung eines evolutionären Projektmanagements und des prozessoffenen Vorgehens im Projekt, schon erwähnt worden. Eine von Beginn an gemeinsame Haltung von Projekt­beteiligten im Werk und externen Begleitern hinsichtlich der Bedeutung nachhaltiger Betriebsratsarbeit wird deutlich an der bereits erwähnten aktiven Politik des Betriebsrates für eine „grüne Fabrik“ und ein nachhaltiges Wirtschaften des Unternehmens. Unterstrichen wurde diese Haltung durch die Gründung der Belegschaftsgenossenschaft für den Bau von Solaranlagen auf Werksdächern.

Evolutionsmanagement sieht ein Unternehmen als einen lebenden Organismus, der sich wie ein Organismus in der Natur verhält. Dieser Organismus hat zunächst sein eigenes Leben und das Streben nach Überleben im Mittelpunkt. In dem in Kapitel 3 dargestellten Erklärungsmodell des Projektes wird deutlich, dass gerade der Betriebsrat als Vertreter der Beschäftigten, sich intensiv für das Überleben des Unternehmens einsetzt und diese Maxime eine klare Handlungsanweisung und Leitlinie darstellt.

Ein weiterer wichtiger Ansatz im Evolutionsmanagement ist, Systeme/Organisationen aus einer evolutionären Perspektive zu betrachten. Sie werden nicht in erster Linie danach betrachtet wie sie sind, sondern wo sie herkommen und wie sie sich weiter­entwickeln. In diesem Zusammenhang entwickelte Methoden, wie z.B. die Darstellung der vergangenen und zukünftigen Entwicklung der Organisation in Sandkästen, waren im Projekt hilfreich. Aus Sicht der externen Begleitung ging es während des Projektes darum, die evolutionäre Entwicklung des Betriebsrates in Emden zu begleiten anstatt Konzepte von Außen „überzustülpen“. Dafür war es notwendig, offen zu sein für Entwicklungen, die so vorher noch nicht absehbar waren, aber neue Chancen bieten konnten, wie z.B. die intensive Integration des Themas „Führung“ in das Projekt.

Eine weitere wichtige Metapher ist das Thema Schwarmintelligenz. Schwärme in der Natur agieren außerordentlich synchron und erfolgreich bei der Nahrungssuche und der Gefahrenabwehr, ohne dass es dabei eine hierarchische Führung (z.B. durch einen „Leitfisch“) gibt. Vielmehr werden bestimmte Schwarmregeln eingehalten und Prinzipien der Selbstorganisation gelebt. Übertragen auf Unternehmen bedeutet dies, die Belegschaft stärker in die Entwicklung des Unternehmensweges einzubeziehen mit ihren Ideen und ihrer Umfeldwahrnehmung. Man kann die Mitbestimmung durch­aus als eine Form der Integration von Schwarmintelligenz in das Unternehmen betrachten. Im Projekt waren es die vielen Workshops und Klausuren, durch die eine starke Einbeziehung aller Beteiligten mit ihren Ideen und Meinungen in den Projektablauf erreicht wurde.

Insgesamt gesehen spielt das Thema Nachhaltigkeit im gewerkschaftlichen und im bundesdeutschen Betriebsratsfeld noch keine große Rolle und es wäre wünschenswert, dass Betriebsräte und Gewerkschaften an diesem Punkt noch eine aktivere Rolle einnehmen könnten. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass gerade auch am Thema Arbeitsplatzerhalt und Entstehung von neuen Arbeitsplätzen das Thema „nachhaltiges Wirtschaften“ eine sehr positive Rolle gespielt hat.


8. Abschließende Bewertung

 

8.1 Zielerreichung/Zielweiterentwicklung

Die einzelnen Ziele in den Arbeitsbereichen des Projektes wurden bereits in den vorherigen Kapiteln angesprochen (siehe insbesondere Kapitel 6). Zum Abschluss des Berichtes möchten wir auf einige, aus unserer Sicht fundamentale, Ergebnisse eingehen, durch die sich der Projekterfolg ebenfalls definiert. Im Laufe des Projektfortschritts stellte sich mehrfach dar, dass die Ergebnisse des Projektes nicht immer leicht „greifbar" waren, wie dies z.B. der Fall war bei der Verbesserung der Kommunikation durch stärkere und bessere Nutzung der elektronischen Medien oder die Einführung von Tools, die rasch angewandt werden konnten.

Ein wichtiges, wenngleich weniger „greifbares", Ergebnis des Projekts war beispielsweise die Zusammenbringung von weichen und harten Faktoren. Der Betriebsrat hat sich von einer starren Organisation zu einer Organisation in Bewegung gewandelt. Es wurden Themen bearbeitet, die anfangs von vielen so nicht für möglich gehalten wurden. In der Organisation ist Transparenz und Offenheit entstanden, die in dieser Form vor dem Projekt nicht bestand. Es sind Mauern zwischen den Bereichen untereinander und den Bereichen und den zentral eingesetzten Betriebsräten abgebaut worden. Entscheidend für diese Entwicklung war, dass die Dialog- und Diskussionskultur im Betriebsrat gestärkt wurde. Es wird inzwischen in einer verbesserten, respektvolleren Form miteinander kommuniziert – eine Verbesserung weit über die reine Verbesserung durch elektronische Hilfsmittel hinaus.

Aber nicht nur in der Kommunikation spiegelt sich wider, dass der einzelne Betriebsrat inzwischen ganzheitlicher gesehen wird. Der Fokus liegt nicht mehr nur bei seinen Fachaufgaben, sondern in seiner gesamten Persönlichkeit und es gibt einen höheren Respekt für Einzelne.

Dennoch entstehen selbstverständlich auch weiterhin Konflikte und Spannungen in der Betriebsratarbeit. Es konnte vermittelt werden, dass Konflikte ein normaler Bestandteil erfolgreicher Arbeit sind und dafür ein Instrumentarium zur Bewältigung benötigt wurde. Insgesamt hat sich die Arbeit vor Ort in den Bereichen qualitativ verbessert und die hierarchieübergreifende Projektorganisation hat es einzelnen Betriebsräten ermöglicht, sich zu bewähren und weiterzuentwickeln. Dadurch sind Einzelne positiv in den Vordergrund getreten. Dass das Projekt über den relativ langen Projektzeitraum stetig vorankam, trotz der hohen Tagesarbeitsanforderungen, war ein großer Erfolg und ist zu einem erheblichen Teil dem langen Atem und der Motivation Einzelner zugute zu halten.

Ein weiterer Erfolg war aus unserer Sicht die Besprechung und Behandlung der Projektthemen auf der Betriebsrätekonferenz im September 2009. Die Konferenz zeigte, dass Themen angegangen wurden, die für viele Betriebsräte aktuell und wichtig sind.

Die Organisationsform „Projektarbeit", die das Projekt selbst insgesamt umrahmt und geformt hat, wurde gleichzeitig innerhalb des Betriebsrates als Werkzeug für zukünftige Veränderungsprozesse und zur Aufgabenbewältigung gestärkt. Dadurch wurde der Betriebsrat in seiner Arbeitsorganisation voraussichtlich nachhaltig gestärkt.

Eine Evaluation auf der IGM-Fraktionsklausur im November 2009 zeigte anhand einer Schulnotenskala, dass das Projekt von den Beteiligten insgesamt positiv wahrgenommen wurde:

Evaluationsergebnis

Teilnehmerzahl: 34

Fragen

Ergebnismittelwert

Das Projekt hat uns in unserer Arbeit vorangebracht.

2,4

Das Projektteam hat folgendermaßen gearbeitet.

2,2

Die Projektleitung (Ralf Behrens, Stephan Otto) hat folgendermaßen gearbeitet.

2,2

 

8.2 Was würden wir anders machen, „lessons learned"

Über die Projektlaufzeit von ungefähr zweieinhalb Jahren entwickelte sich für alle Projektbeteiligte ein großer Erkenntniszuwachs. Wesentliche „lessons learned" möchten wir an dieser Stelle herausgreifen, um zukünftige Veränderungsprozesse, auch in anderen Gremien, zu unterstützen.

Besonders stark zu beobachten war die große Hemmschwelle einiger Projektbeteiligter, emotional aufgeladene Themen in bestimmten Phasen des Projektes anzugehen. Für die Projekttreiber stellt sich bei Widerstand die Frage, ob die Themen mit großer Kraftanstrengung bearbeitet werden sollen (und können) oder ob die Themen zunächst nicht oder anders bearbeitet werden. Im Projekt hat sich eine flexible Themenbearbeitung bewährt. Das bedeutet nicht, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, sondern emotional beladene Themen mit einer angemessenen Geschwindigkeit zum richtigen Zeitpunkt anzugehen. Wenn man versucht Druck zu machen, entsteht eher Widerstand.

Es ist aus unserer Erfahrung außerdem ratsam, achtsam zu sein, welche Personen zu welchem Zeitpunkt stärker in ein Projekt eingebunden werden, auch über die Projektstruktur hinaus. Die Projektbeteiligten sollten daher regelmäßig erhoben und geprüft werden.

Trotz der verhältnismäßig langen Projektlaufzeit, ist es gelungen, einen stetigen Fortschritt zu erzielen. Es war erstaunlich, dass es stets eine kleine Gruppe von Projektpromotoren gegeben hat, die das Projekt voran gebracht hat, wobei sich allerdings die Gruppenmitglieder im Prozess verändert haben. Wenn Einzelne weniger Verantwortung übernommen haben, ergaben sich Möglichkeiten für Andere, sich stärker für das Projekt einzubringen. Es braucht einen Kern von Promotoren, diese können aber auch personell wechseln.

Der direkte Kontakt zu den Projektbeteiligten ist sehr wichtig. Um das Projekt bei allen Beteiligten zu verankern, reicht es nicht aus, ausschließlich mit Multiplikatoren zu arbeiten. Grade bei der externen Begleitung von Projekten ist es wichtig, einen persönlichen Kontakt herzustellen.

Die Fraktion hätte 2008 stärker in den Prozess eingebunden werden sollen, um Akzeptanz und Verständnis zu wecken. 2009 ist im Projekt die Einbindung besser gelungen.

Wie in den vorherigen Kapiteln beschrieben, ist gute Kommunikation in der Betriebsratsarbeit sehr wichtig. Auch für erfolgreiche Projektarbeit ist gute Kommunikation kaum zu überschätzen. Der Kreis jener, die das Projekt  „Mit System zum Erfolg" nach außen tragen und das Projekt in seiner Gänze überblicken, ist relativ klein. Das Projekt war hochkomplex und es wäre sinnvoll gewesen, dies kommunikativ noch weiter zu vereinfachen und das Projektmarketing stärker zu verfolgen. Insbesondere weil im Projekt sehr viele wichtige Ergebnisse erzielt und Erfolge erreicht wurden, die ohne eine klare Kommunikation unter Umständen nicht leicht „greifbar" sind. Erfolge derartiger Projekte müssen offensiv gefeiert und kommuniziert werden. In Zukunft erscheint es uns sinnvoll, das Projektmarketing schon bei der Budgetierung zu berücksichtigen, so z.B. das Erstellen einer Broschüre nach dreiviertel der Projektlaufzeit mit den wichtigsten Ergebnissen.

Neben dem Projektmarketing hätten auch Monitoringinstrumente (wie z.B. die bereits angesprochene Projektfeldanalyse der Projektbeteiligten) stärker genutzt werden können.

Wir rechnen es der Hans-Böckler-Stiftung hoch an, dass sie sich mit uns auf ein Thema eingelassen hat, welches am Anfang nicht völlig klar umrissen war. Rückblickend ist die Thematik klar geworden und wir haben festgestellt, dass wir in unserer Arbeit an den richtigen Punkten angesetzt haben. Die Hans-Böckler-Stiftung und wir haben es gewagt, offen an den Prozess zu gehen – das war wichtig, um dieses Projekt durchzuführen.

Die externen Impulse für das Projekt waren wichtig und die Einrichtung eines Beirats war sinnvoll. Im Rückblick zeigte sich, dass eine Betriebsrätekonferenz, wie sie am Projektende stattfand, bereits in der Projektmitte sinnvoll gewesen wäre. Aber auch abseits der Betriebsrätekonferenzen sollte ein Erfahrungsaustausch mit anderen Betriebsräten stattfinden und gemeinsame Diskussionen gesucht werden.

Die regelmäßige interne und zuweilen externe Reflexion des Projektes hat sich bewährt.

 

8.3 Nachhaltigkeit des Projektes

Um die Nachhaltigkeit des Projektes zu gewährleisten, sind verschiedene Maßnahmen bereits eingeleitet worden. Dies reicht von den um den Strategieanteil ergänzten Teamentwicklungen über die offene Arbeitsweise in Arbeitsgruppen und Projekten, bis hin zu inhaltlichen Aufgaben hinsichtlich der Qualifizierung und Personalentwicklung. Mit Hilfe von verschiedenen Kennzahlen und Erfolgskriterien war das Thema Nachhaltigkeit zudem ein integraler Bestandteil des Projektes und sichert über diesen Weg wichtige Ergebnisse ab.

Darüber hinaus ist beschlossen worden, weiter mit externen Kräften zu arbeiten, die die nötige Distanz und Expertise aufbringen. Dies gilt für die Teamentwicklungen, aber auch für Fraktionsklausuren, die weiterhin moderiert verlaufen sollen.

Noch offen ist der Ausgang um die Fachausschussstruktur. Hier ist allerdings bereits ein Weg und ein Zeitraum vereinbart, in dem es weiter geht (siehe Kapitel 6.2).

Dennoch gibt es weiterhin Themen, die drohen in Vergessenheit zu geraten oder Verhaltensweisen, die dann doch wieder in den alten Trott zurückfallen. Um darauf zu reagieren, könnte das Projektteam in seiner Zusammensetzung bestehen bleiben, um aus dem Projekt resultierende Errungenschaften quasi zu überwachen. Dafür könnte ein Frühwarnsystem entwickelt werden, das rechtzeitig Entwicklungen feststellt und zur Sprache bringt, damit auch so genannte „weiche Erfolge“ bestehen bleiben. Zu beachten sind beispielsweise Themen wie Disziplin, Offenheit für Themen, Bewältigung von Konflikte, Informationsfluss etc.

 

8.4 Projektarbeit aus Sicht der externen Begleitung

Für uns geht ein zweieinhalbjähriges Projekt zu Ende, das geprägt war durch eine sehr hohe strukturelle aber auch emotionale Komplexität. Dies hing zusammen mit unserem Anspruch, an sehr vielen verschiedenen Punkten gleichzeitig anzusetzen und auszuprobieren, an welchen Punkten Veränderung Resonanz findet, aber auch an welchen Punkten sie besonders viel bewirken kann. Die Komplexität hing aber auch damit zusammen, dass Betriebsratsarbeit mehr als "normale" Arbeit im Unternehmen von einer hohen Emotionalität geprägt ist. Wir fanden, dass eine sehr herzliche Atmosphäre im Projekt herrschte, stärker als in reinen Unternehmens­projekten, die ja auch oft in einem sachlich klarer abgegrenzten Bereich stattfinden. Wir haben dies als eine große Qualität des Projektes erlebt, die auch daran zu spüren war, dass wir immer gerne nach Emden gefahren sind.

Wir haben das hohe Engagement der Beteiligten vor Ort schätzen gelernt und auch die hohe Kompetenz, besonders der Promotoren des Projektes. Da wir sowohl für Organisationen im Profitbereich als auch im Non-Profitbereich arbeiten, ist es interessant, Unterschiede zu beobachten. Die fehlende formale Hierarchie in Betriebsratsstrukturen macht so manche Prozesse anstrengender und bei so mancher Sitzung im großen Kreis von 40-50 Beteiligten war mehr Disziplin wünschenswert. Dies erzeugt auch Respekt vor denen im Betriebsrat, die Führung ausüben müssen, ohne dass ihnen dafür eine formale hierarchische Stellung gegeben ist, wie das bei den Managern im Unternehmen üblich ist. Dadurch müssen Betriebsräte in einem sehr viel komplexeren politischen Umfeld agieren als so mancher Manager. (Auf der anderen Seite gibt es auch jene Manager, die sich bewundernd über das dichte und eng geknüpfte Netzwerk der Vertrauensleute äußern, das der Betriebsrat nutzen kann und sich ein vergleichbares Netz für ihre Arbeit wünschen).

Auch ist es nicht einfach, als "Unternehmensberater" im Kreise von Betriebsräten Akzeptanz zu finden. Es gab im Betriebsrat viele frühere Erfahrungen mit Unternehmens­beratern, die arrogant aufgetreten waren, vor allem Arbeitsplätze reduzieren wollten oder nur kurzsichtige betriebswirtschaftliche Rationalisierungen im Fokus hatten und - ein häufiger Vorwurf - „so viel Geld kosten“. Um diese Widerstände zu überwinden, brauchte es einen langsamen Vertrauensaufbau und die dann persönlich erlebte Erfahrung der Beteiligten, dass der externe Blick und der unterschiedliche Erfahrungshorizont zu wichtigen Anregungen für die eigene Betriebsratsarbeit mit spürbaren Verbesserungen führen kann. Hier sei noch einmal erwähnt, dass die lange Projektlaufzeit für diesen Prozess einen Rahmen gegeben hat und den Verantwortlichen dafür ausdrücklich gedankt. In unserer kurzatmigen Zeit würde auch in so manchem Unternehmensprojekt ein längerer Atem zu mehr Erfolg führen und es den Menschen ermöglichen, ihre Kompetenz in Projekte einzubringen, denen sie zunächst reserviert gegenüberstehen. (statt: zuzusteigen und mit zu fahren).

Am Ende waren nicht alle von dem Geleisteten begeistert, aber doch herrschte mehrheitlich eine große Zufriedenheit mit dem im Projekt Erreichten. Wenn die Ansprüche an Betriebsräte steigen, kann externe Beratung hilfreich sein, weil sie andere Betrachtungsmöglichkeiten eröffnet. Dies annehmen zu können, erfordert persönliche Stärke, das Vertrauen in die eigene Kompetenz und den dauernden Wechsel zwischen Annehmen von Beratung und kritischer Distanz zu dem Gesagten. Wer zu diesem Wechsel in der Lage ist, wird qualitativ hochwertige Beratung als Bereicherung erleben können. Insofern war die Ausgangssituation im Betriebsrat in Emden auch nicht Schwäche, die unbedingt Beratung brauchte, sondern eine emotionale und strukturelle Stärke, ausgedrückt z.B. auch in einem Organisationsgrad der IG Metall im Werk von 98%, was auch bedeutet, dass nicht nur die in der Produktion direkt tätigen hoch organisiert sind, sondern auch die „Angestellten“ und viele Führungskräfte. Aus dieser Stärke heraus wurde das Projekt gewünscht, um besser zu werden, aber auch in der Voraussicht eventuell drohender Gefahren, auf die man sich gut vorbereiten muss.

Für uns bedeutet das Projekt auch eine ständige Hinterfragung unserer Sprache und unserer Begriffe. Die Beratersprache - in anderen Zielgruppen als Zeichen der Zunft akzeptiert oder erstaunlicherweise sogar bisweilen bewundert - wird in Betriebsratskreisen nicht hingenommen. Dies erfordert im Umgang eine Anpassung von Methoden und Formulierungen und stellt oft nicht mehr Hinterfragtes wieder in Frage. Es erfordert eine Komplexitätsreduzierung, die den Berater zwingt, nur jene Punkte in das Scheinwerferlicht zu rücken, die wirklich wichtig sind. So manchmal hieß es auch, das Tempo der Veränderungsprozesse in Frage zu stellen und ein Gespür dafür zu bekommen, dass Verlangsamung Prozesse beschleunigen kann. Dies erfordert auch, sich hinein zu denken, warum bestimmte Veränderungen als besonders riskant eingeschätzt wurden, dass es im politischen Geschäft nicht ausreicht, etwas als richtig oder notwendig einzuschätzen. Vielmehr müssen die Handelnden auch von ihrer Gruppe wiedergewählt werden, damit sie das, was sie als richtig oder notwendig einschätzen, auch umsetzen können.

Wir haben dieses Projekt auch deswegen durchgeführt, weil wir im Kontext unserer Arbeit den Wert der Mitbestimmung schätzen, aber gleichzeitig auch die Not­wendig­keit ihrer internen Weiterentwicklung sehen. Eine Heraus­forderung war, an den Fragen anzusetzen, die wichtig für diese Weiterentwicklung, aber noch nicht unbedingt mehrheitsfähig in der normalen Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit gewesen sind. Dies gilt für eine Reihe von Themen in diesem Projekt, wie z.B. der Bedeutung der Persönlichkeit, die Bereitschaft politische Arbeit messbar zu machen bis hin zu der Thematisierung von Nachhaltigkeit. Die Konferenz der Betriebsräte anderer Unternehmen zum Projekt zeigte, dass die im Projekt bearbeiteten Themen auch von anderen Betriebsräten als relevant angesehen wurden und auf Resonanz stießen.

 

8.5 Ausblick

Im Projekt ist viel erreicht worden, einzelne Themenfelder sind aber bis Projektende nicht vollständig abgeschlossen worden. Dies soll aber noch geschehen. Insbesondere wird der Themenbereich Wissensmanagement und die Entwicklung der Ausschussstruktur weiterbearbeitet. Die künftige Vorgehensweise bei der Strukturweiterentwicklung wurde auf der Fraktionsklausur im November 2009 beschlossen: Nach der Betriebsratswahl im Werk 2010 soll innerhalb des Zeitfensters bis zur Konstituierung des neuen Betriebsrates ein Vorschlag für eine neue Struktur ausgearbeitet, vorgeschlagen und dann möglichst vom neuen Betriebsrat zum Beginn seiner Arbeit verabschiedet werden (näheres dazu bereits in Kapitel 6.2). Damit eine neue Struktur Akzeptanz finden kann, wird es wichtig sein, die Diskussions­ergebnisse zu diesem Thema aus der Klausur aufzugreifen und in den Vorschlag einzuarbeiten. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird aber auf Grund der starken Kontroversen zu diesem Thema im weiteren Prozess eine Führungsrolle einzelner Promotoren notwendig sein, um eine Entscheidung an diesem Punkt voran zu bringen.

Wichtig wird es sein, dass erarbeitete Ergebnisse im Projekt unbedingt verstetigt und bewahrt werden. Im Betriebsrat besteht Konsens, dass die folgenden im Projekt angewendeten Themen, Elemente und Instrumente nach Projektabschluss weitergeführt werden sollen:

Ø  Strategische Arbeit

-       Zentral

-       in den Bereichen

Ø  System und Planung in

-       der Betriebsratsarbeit

-       der IGM Fraktion

Ø  Prozesse und Entscheidungen über Strukturen absichern

Ø  Offene Arbeitsweise: Arbeit in AGs und Projekten

Ø  Disziplin in der täglichen Arbeit:

-       Pünktlichkeit

-       Handy aus

-       Verbindlichkeit bei Absprachen

-       Aussprechen lassen und Zuhören

Ø  Führung weiterentwickeln und praktizieren

Ø  Respekt, Achtung, Vertrauen, Offenheit, Transparenz

Ø  Das Instrument der ein- oder zweitägigen Klausuren nutzen

Ø  Teamentwicklung

Ø  Bei komplexen Fragestellungen externe Unterstützung heranziehen

Ø  Qualifizierung und Personalentwicklung        

Ø  Persönlichkeiten und Gruppen entwickeln, um Veränderungskompetenz weiter zu fördern.

Ø  Öffentlichkeitsarbeit, Qualifizierung sowie Verbesserung der Kommunikation einzelner Betriebsräte

Ø  Nachhaltige und beteiligungsorientierte Politik (z. B. grüne Fabrik)

Damit die bisherigen Ergebnisse im Betriebsrat stabilisiert und weiter­entwickelt werden können, wurden Verantwortliche gefunden (geschäftsführender Fraktions­vorstand und das ehemalige Projektteam), die die Projektergebnisse weiterführen werden. Es wird für den langfristigen Projekterfolg entscheidend sein, wie sich diese Struktur nach dem Projektende entwickelt, denn es braucht eine langfristig wirkende Implemen­tier­ungs­struktur.

Im Zuge der nachhaltigen Betriebsratsarbeit wird ein Fokus der Projektbewertung, neben den bereits erreichten Veränderungen, auch auf der weiteren Entwicklung im Betriebsrat liegen. Evolutionäre Betriebsratsarbeit bedeutet, nicht stehen zu bleiben, sondern auch nach Projektende die notwendigen weiteren Veränderungen aktiv weiter voran zu bringen.

Durch die Erstellung, Diskussion und Überarbeitung des Berichtes ist vielen Projektbeteiligten nochmals deutlich geworden, wie vieles im Projektablauf erreicht worden ist. Es wäre schade, wenn diese Erfolge in der Tagesarbeit untergehen würden. Die Ergebnisse und Erfahrungen sollten daher in komprimierter Form an die Belegschaft und in die gewerkschaftliche Landschaft kommuniziert werden. Vorstellbar wäre beispielsweise über das Handbuch hinaus eine kürzere Broschüre, die einen raschen Einblick in das Projekt und seine Ergebnisse ermöglicht. Viele Resultate sind auch für Betriebsräte anderer Werke und Branchen nützlich und sollten dementsprechend kommuniziert werden. Eine Möglichkeit zum Transfer der Projektergebnisse ist die Organisation von Veranstaltungen (z.B. Foren), um diese Themen in Form eines Dialoges in die Betriebsrätelandschaft zu tragen.

Darüber hinaus möchten wir auch eine Diskussion mit den Ergebnissen des Projektes in die Betriebsräte- und Gewerkschaftslandschaft hineintragen. Dies sollte die folgenden Bereiche umfassen:

Ø  Weiterentwicklung des BetrVG

Hier geht es darum, eine Debatte anzustoßen zu den Themen Führung und Personalentwicklung. Wie müsste eine eventuelle Gesetzesänderung aussehen, die die hier notwendigen Veränderungen möglich macht? Sinnvoll wäre es, im BetrVG Weiterbildungsrechte für die Betriebsräte zu verankern, die den Weiterbildungsrealitäten des Managements entsprechen.

Ø  Qualifizierung von Betriebsräten

Hier geht es darum, die im Projekt aufgezeigten Schwachstellen der Betriebsratsarbeit sowie die hier entwickelten Instrumente und Kompetenzen auch im begleitenden Sinne in die gewerkschaftliche Weiterbildung der Betriebsräte zu integrieren. Denkbar wären hier auch Angebote an die Vorsitzenden und Stellvertreter zum Thema Führung.

Ø  Gewerkschaftliche Positionierung zu nachhaltiger Betriebsratsarbeit (ökologisch und inhaltlich)

Hier geht es darum, das Prinzip der Nachhaltigkeit offensiver in die Arbeit von Betriebsräten zu integrieren.

Der Beirat hat sich gewünscht, nach zwei Jahren durch die Hans-Böckler-Stiftung einen Workshop durchzuführen, auf dem mit einem gewissen Zeitabstand auf die Ergebnisse des Projektes geschaut wird und die Nachhaltigkeit überprüft wird. Dies ist sinnvoll, um zu prüfen, ob der Anspruch des Projektes auch erreicht worden ist, bzw. an welchen Punkten sich Veränderungen ergeben haben. Dadurch wird aber auch ein äußerer Impuls gesetzt, im Betriebsrat Emden weiterhin konsequent an der Umsetzung der Projektergebnisse zu arbeiten.

Wir würden uns freuen, wenn unsere Arbeit eine Debatte in den Betriebsräten zu der Frage der Verbindung von „weichen“ und „harten“ Faktoren in der Betriebsratsarbeit, der Verbindung von Struktur und Person ermöglichen würde und wenn unsere Arbeit einen Teil dazu beitragen kann, das Thema „Nachhaltigkeit“ in seinen vielen Facetten in den Diskussionen und Aktionen der Betriebsräte zu stärken. Die Krise zeigt uns, dass hier große Herausforderungen auf uns zugekommen sind, bei denen es Sinn macht, darauf die Kräfte zu fokussieren, aber hoffentlich auch die Wirksamkeit eigener Gestaltungskraft spüren zu können.